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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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oder gar nicht, weil sie die Anregung in Herder's »Philosophie der Geschichte«, historische Drehungsgesetze zu entdecken, oberflächlich vernachlässigten. Sie wandten sich völlig der rein metaphysischen Spekulation zu und verließen das neubegründete philosophische Geschichtsstudium, welches sie zu pragmatischer Spezialgeschichtsschreibung und nüchterner Quellenforschung herabdrückten.
    Und doch sollte es der Endzweck jeder Forschung sein, aus Vergangenem die Zukunft vorherzusagen. Große Ereignisse entspringen keineswegs aus kleinen Ursachen, wenn auch vielleicht aus kleinen Bedingungen. Ereignisse der Menschengeschichte unterwerfen sich denselben Bedingungen wie Chemie und Geologie . Jede Erscheinung muß verursacht werden durch etwas, was in ihr vorgeht oder was außer ihr vorgeht. Ersteres muß sich durch ihre Zusammensetzung, letzteres durch ihre Lage erklären lassen. Selbst die geheimnißvollen großen Lichtkräfte, welchen in der Menschengeschichte wohl gewisse immanente Ideen entsprechen, wird man so analysiren können.
    Wenn der englische Denker Locke noch die abgesonderte Existenz einer Reflexionskraft behauptete, durch welche die Sinneseindrücke benutzt würden, so gingen die schottischen Denker, welche jene denkwürdigste Epoche des Menschengeistes zeitigte, schon so weit, eine sittliche Anlage jedes Menschen als ursprüngliches Prinzip anzunehmen. Schon bald wurden diese deductiven Transcendentalisten verdrängt durch die Gründung der politischen Oekonomie. Adam Smith stellte den Satz auf, daß die Gesetze, nach welchen wir unser Betragen richten, nur durch Beobachtung des Betragens anderer erlangt werden. Wenn wir einsam lebten, könnten wir weder Verdienst noch Recht von seinem Gegentheil unterscheiden. Wir unterrichten uns hierüber, indem wir uns an die Stelle der Andern versetzen. Aus dieser allgemeinen Vorstellung entstammt die allgemeine Sympathie. Diesem Mitgefühl entspringen nun sämmtliche Handlungen, gute und böse. Und im Mitgefühl, obschon es ein ideelles Vergnügen bereite, läge dennoch kein Gran von Selbstsucht. Als Ergänzung aber dieser »Theorie der sittlichen Gefühle« sprang Smith auf das gerade Gegentheil über, indem er nunmehr in seinem grandiosen Werke vom »Nationalreichthum« nur die Selbstsucht als Motor annimmt. Jeder folge nur seinem eignen Interesse und fördere hierdurch, ohne es zu wollen, das Interesse andrer. Der persönliche Wunsch, den jeder Einzelne fühlt, seine Lage zu verbessern, bringt die Gesellschaft im Ganzen vorwärts. Jetzt wurde die große Idee der Nothwendigkeit auf das sociale Leben angewandt. Man erkannte Arbeitslöhne als unvermeidliche Folge der Verhältnisse gegen welche die Wünsche aller Einzelnen oder des ganzen vierten Standes ohnmächtig, das spätere »eiserne Lohngesetz« nach Angebot und Nachfrage. Man ahnte die Theorie der Pacht, wie Malthus und Ricardo sie später ausbauten. Dann kamen Hume's Theorien von der Ideenassoziation und vom Causalnexus und von der Nützlichkeit als einzigem Grundpfeiler der Moral. Diese genialen Geister verachteten jedoch die bloß compilatorische nüchterne Thatsachenanhäufung als Grundlage, sie mißtrauten der Statistik und hielten die Ideen für so viel wichtiger als Thatsachen , daß erst Ideen vorangehen müßten, ehe man überhaupt die Thatsachen beobachte. Reid und Black wandelten fort auf ähnlichen Gleisen, wie denn später Watt die Dampfmaschine nicht aus Thatsachen-Experimenten, sondern aus der Spekulation über Black's Gesetz von der latenten Wärme, angewandt auf die Verbindung von Luft und Wasser, also aus einer Idee heraus erfand.
     
    Graf Xaver Krastinik, dies
Enfant terrible
seiner umliegenden Dörfer und Standesgenossen, schloß sich völlig von der Welt ab und studirte ununterbrochen. Muthig hieb er sich lichte Bahn durch das Dickicht seiner Unwissenheit.
    So drang er denn allmählich in das ganze Geheimniß der inductiven Methode ein, welche auch das Kunstprinzip des Realismus leitet.
    Hier lernte er jene Deklamationen einer deductiven Weltanschauung verachten, von welcher im Grunde alles äußerliche Scheintreiben der Menschheit bestimmt wird. Angenommene Voraussetzungen als höchste Prinzipien aufstellen und dialektisch verfechten – darin besteht das wahre System des hohlen gedankenlosen Weltgetriebes. Ob der Metaphysiker oder der Zeitungsjournalist, der Pfaffe oder der Soldat, – jeder wählt sich ein beliebiges traditionell überkommenes Prinzip und argumentirt daraufhin

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