Größenwahn
Gräser mit den Zähnen, und schlürfte den Thau vom jungen Kleeblatt, wie trunken von corybantischer Attis-Begier. Er hätte, ein neuer Pygmalion, den Fels umarmen mögen, aber der blieb kalt, todt, steinern. Unwillkürlich umschlang er den Baum, unter dem er lag, aber dessen Rinde blieb trocken und starr und die Tropfen des Fichtenherzes, die aus den dürren Spalten quollen, waren kein warmes Blut, keine Thränen der Gegenliebe. Die Weltkraft, die alles durchdringt und besiegt, hätte er leibhaftig ans Herz reißen und mit ihr ringen mögen, Herr werdend durch der Liebe Riesenwollust.
Tief unten im Grunde dufteten die Blüthen. Geister des Friedens entstiegen den Kelchen. Aus Felsenspalt entströmte leise, wehmüthig lispelnd, des Wildbachs Helle. Ach, brach nicht, wälzend die Welle der Thränen, aus seinem Herzen der Bach Erinnerung?
So weit sein Auge gen Himmel starrte, unendliche Wälder, felsenbeschattet. Erschauernd sank er ins Riedgras nieder, über ihn rollten die weichen Wogen. Rings abgeschlossen! Kein Pfad der Hülfe! Da – fern vom Gipfel winkte ein – Kreuz .
Ein Kreuz – wiederum durchzuckte es den einsamen Mann.
Memento mori!
Sollte er nicht Ernst machen mit der Entsagung des Lebens?
Wieder tönten Leonharts Worte in ihm wieder, daß nur im Kloster das Glück wohne.
Aber für wen? Doch für den Gläubigen? War er denn gläubig? O nein, wie lange entwich ihm der kindliche Glaube der Väter! Nicht ihm blieb jene Erlösungssehnsucht, die aus den Wunden Christi mit mystischer Brunst die Gewißheit ewigen Lebens schlürft.
Er erinnerte sich jenes Gespräches über Semiten-und Christenthum, das sie einst geführt. Einen semitischen Cultus hatte Leonhart den Katholicismus genannt, ohne aber eine Begründung zu geben, indem er zu der These absprang, daß in seiner ersten Gestalt das Christenthum rein arisch gewesen sei. Jetzt glaubte Krastinik jene Andeutung zu verstehn. Die indisch-baktrischen und griechischen Elemente der christlichen Kirche hatten sich im Orient erhalten, als byzantinische Kirche ausartend, als Arianismus sich reiner ausbildend, indem die Menschlichkeit Christi festgehalten wurde. Gerade auf den römischen Bischof aber hatten sich die jüdischen Zusatzmischungen übertragen und fortgemodelt: Ein selbstsüchtig ausschließender Jehova-Cultus, eine Intoleranz pharisäischer Selbstgerechtigkeit. So entfernte sich die christliche Kirche unter der Hohepriester-Hierarchie Roms immer weiter von ihrer demokratischen Form communistischer Gemeinden und bildete sich zu einer großartigen Staatskirche aus, welche alles geistige Leben mit unentrinnbarem Netz umstrickte und in ihren Dienst zwang. So mußte roher Gesetzesglaube und selbstgerechte Werkheiligkeit das echt jüdische Wesen dieser neuen katholischen Religion bestimmen. Nur eins blieb demokratisch in diesem blinden Staatscultus starrer Autorität: Die Gegenüberstellung der Geisteskraft wider das rohe Ritterthum und die physische Allmacht des Feudalsystems, hier wo jeder Bauer es bis zum Papste, zum Oberhirten der Christenheit, bringen konnte, gleich dem Zertrümmerer der irdischen Staatsgewalt, dem großen Gregor.
Aber diese Zeiten sind lange dahin. Dies unsterbliche historische Verdienst der römischen Kirche, neben welcher der Protestantismus als ein zwerghafter Parvenü erscheint, liegt seit Jahrhunderten in andern Händen – denen eines neuen Kirchenordens, dessen Werkzeug die Feder, dessen Wunderbeglaubigung das Wissen.
Kirche, Religion! Was für leere Worte heut, Gespenster längst entschwundener Wesenheiten!
Wir glauben all an einen Gott – an das Gold und das Ich.
»Ich« heißt der Dämon, welcher heut die Welt zu einer großen Irrenanstalt verengt. Dieser Geist der All-Verneinung und Ich-Vergötzung ist der Geist des Widerspruchs und der Lästerung, dessen jammervollem Wahnsinn man schweigend wie dem Größenwahn eines Irren nachgeben muß. Und dieser Götzendienst empfängt seinen stärksten Giftstoff aus der Kirche, dieser Brutstätte der Selbstheiligkeit.
Unfehlbarkeitsdogma! Dies sündhafte Vermessen einer sclavischen Selbstanbetung, der Größenwahn eines Ich-Sclaven (und welch ein sündiges Ich gerade dieses!), um den Größenwahn der sclavischen Thorenmenge wider die »Ketzerei« höherer Gesittung noch mehr zu stacheln! Ja, das Unfehlbarkeitsdogma fehlte gerade noch, um den unheilbaren Größenwahn dieser Fortschritt-Epoche zu brandmarken. – –
Nein, das »Kreuz« konnte einen Mann wie diesen nicht mehr
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