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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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geehrt. Dann kamen eine Reihe von Geologen, welche den Begriff des allgemeinen Wechsels auf der Erdoberfläche darthaten, jenen ewigen Fluß der Dinge, von welchem schon Herakleitos der Dunkle sprach. Jetzt begann man die organischen Ueberbleibsel zu studiren. Man erkannte den Zusammenhang der Existenz der fossilen Thiere mit den Medien, in welchen sie gefunden wurden. Der große Cuvier verband die Forschung über die unorganischen Veränderungen der Erdoberfläche mit derjenigen über die organische Veränderung der Thiere, die auf dieser Oberfläche gelebt. Die Deutschen hatten die primären (Gneis), die Engländer die secundären Formationen untersucht, die Franzosen entdeckten die tertiären Strata, in welchen man bereits Säugethiere, die dem gegenwärtigen Zustande ähnlich, fand. Die angeblichen Patriarchenknochen und Hünengebeine wurden als Reste fossiler Thiere dem Studium der Anatomie unterworfen. Und jetzt verbreitete sich die allgemeine Verehrung Darwins, die Lehre von der unbeirrten regelmäßigen Entwickelung.
    Hier erschloß sich dem Geiste des einsamen Gottsuchers ein so unendlicher Horizont, daß er erschauernd und gleichsam athemlos innehielt. Erst allmählich begann er jetzt, an der leitenden Hand neuster Forscher, die. ganze Größe dieser Wahrheiten zu erfassen. Die Astronomie ist längst im Stande, wichtige planetarische Ereignisse viele Jahre vorherzusagen. Und werden nicht einst unsre Vorhersagungen in andern Dingen ebenso genau eintreffen, sobald die gesammte Wissenschaft ähnlich fortschritt? Gleichförmige Regelmäßigkeit in allen Naturbewegungen – welch ein unergründliches Gebiet der Spekulation! Lange ehe Menschen waren, lange ehe dieser Planet sich geformt, herrschte die gleiche unerfaßliche Ordnung.
    Nun drang auch die Zoologie durch vergleichende Anatomie in das Zellengewebe des menschlichen Organismus ein und gründete erst die eigentliche Physiologie, wozu nunmehr auch die Botanik beitrug. Man erkannte das Doppelleben des Menschen, das organische und das animalische. Ersteres, welches er mit der Pflanze gemein hat, bedingt Erschaffung und Zerstörung, nämlich: Verdauung, Circulation, Ernährung – Ausathmung, Ausdünstung, Verbrennung. Von dem Thierleben aber leitet er Bewegung, Gefühl und Urtheil her, d.h. Bewußtsein. Die Organe dieses thierischen Lebens sind absolut symmetrisch und sämmtlich doppelt, die des pflanzlichen Lebens hingegen außerordentlich verschieden und an sich einzeln. Das Pflanzenleben schläft nie in uns. Die doppelten animalischen Organe aber gestatten uns zu ruhen und abzuwechseln, und gerade hierdurch verbessern und entwickeln sich allmählich die Functionen, vom ersten Naturschrei des Kindes bis zur ausgebildeten Gedankensprache.
    Selbst die Mineralogie drang jetzt zu den glänzendsten Resultaten vor, indem sie sich mit der Geometrie verknüpfte und alle Abweichungen der Symmetrie der mathematischen Berechnung unterwarf. Die wunderlichsten Formen erschienen von jetztab als natürliche Entwickelungsfolgen. So giebt es also in keinem Reich der Natur die Möglichkeit einer Unordnung und alles , was geschieht, steht unter festen Gesetzen . Und dies Prinzip mußte man nun wohl oder übel auch auf das Geistige an wenden. Die Abweichungen des menschlichen Geistes, z.B. der Wahnsinn und das Genie, werden von eben so unfehlbaren Gesetzen bestimmt, als der Zustand der todten Materie. Unter gewissen Bedingungen tritt das Phänomen des Genies oder des Wahnsinns unausbleiblich ein .
    So wird man das Materielle und Immaterielle im zwanzigsten Jahrhundert im Studium zu verknüpfen lernen, wovon wir heute noch entfernt sind. Der Zusammenhang dieser naturwissenschaftlichen Forschungen mit der socialen Empörung, welche man die Große Revolution nennt, lag aber klar vor Augen in der allgemeinen Sehnsucht nach Verbesserung und Unzufriedenheit mit der früheren Stagnation. Wie und zeigen sich nicht genau die gleichen Symptome heut am Ende des neunzehnten Jahrhunderts?
    Wenn im siebzehnten Jahrhundert Baco, Descartes und Newton die wechselnden Erscheinungen auf bestimmte Prinzipen von Ordnung zurückführten und das achtzehnte Jahrhundert diese gefundenen Prinzipien auf das materielle Universum im Ganzen anwendete, so versuchten die großen deutschen Denker diese Prinzipien auf die Geschichte des menschlichen Geistes auszudehnen und zu vollständigen Allgemeinbegriffen über den Fortschritt des Menschengeschlechts zu gelangen. Allein, dies gelang ihnen nur unvollkommen

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