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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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zu empfangen und sich derselben hinterher zu erinnern, welche wir mit jedem thierischen Lebewesen gemein haben. Das Gedächtniß, vielleicht die wichtigste Grundlage höheren Geisteslebens, muß als ein bloßes Organ Physischer Empfindung und das Urtheil auch nur als Empfindung betrachtet werden. »
Juger n'est proprement que sentir.
« Was sind also Pflicht, Tugend und all diese schönen Worte? Man prüfe ihr Verhältniß zu den Sinnen, inwieweit sie physische Lust erregen. Laster und Tugend sind also nur das Ergebniß unsrer Leidenschaften und diese richten sich nach der physischen Reizbarkeit für Schmerz und Lust. Nur so entstand der Sinn für Gerechtigkeit, indem aus Schmerz und Lust das Gefühl des allgemeinen Interesses erwuchs, welches man schützen wollte. Freundschaft erklärt sich nur aus dem Interesse, unsre Lust zu vermehren oder unsern Schmerz durch Theilnahme zu mindern. Den Ruhm erstrebt man lediglich wegen seines Vergnügens, respektive wegen anderer Vergnügungen, die man aus seinem Besitz erhofft. Das Gute um des Guten willen zu lieben ist eine Chimäre, das Böse um des Bösen willen zu wollen ist unmöglich. Was wir sind, dazu macht uns nur die Außenwelt.
    Aehnlich die Analyse der menschlichen Fähigkeiten, welche Condillac in seiner Abhandlung »Ueber die Empfindungen« versucht. Empfindung sei nichts als Eindruck äußerer Einwirkungen. Reflexion sei nur Sensation, ein Kanal der Vorstellungen, welche aus den Sinnen allein sich herleiten. Unsere Aufmerksamkeit auf irgend einen Gegenstand ist nur die Empfindung, die uns dieser Gegenstand erregt. Und Vergleich zweier Gegenstände ist nur doppelte Aufmerksamkeit, nicht etwa eine Folge der Aufmerksamkeit, also ist das Urtheilen , was bereits im Prozeß des Vergleichens liegt, auch nur das Aufmerken einer Empfindung. So entsteht das Gedächtniß als ein ungeformter sinnlicher Eindruck und Einbildungskraft leitet sich wieder vom Gedächtniß her, indem erstere das Abwesende als gegenwärtig empfindet. Daraus folgt dann der überraschende Schluß: Die Eindrücke der Außenwelt auf uns verursachen nicht die Geistesthätigkeit, sondern die Eindrücke selber sind diese Geistesthätigkeit.
    Dies sind die Lehren, welche einerseits zur Befreiung der Menschheit von verrotteten Mißbräuchen, andrerseits zur rohen Entfesselung der Materie trieben. Die völlige Unterordnung der sogenannten Innenwelt unter die Außenwelt drängte zur ausschließlichen Vergötterung der Natur, also zum Studium und zur alleinigen Herrschaft der Naturwissenschaften. Nicht das Wahre, Gute und Schöne suchte man zu erforschen, sondern Wärme , Licht und Electricität . Diese heilige Dreieinigkeit erschien als der neue Gott begriff, zu dem man betete. Die Gesetze der Strahlung, der Wärmeleitung, der doppelten Brechung, der Polarität des Lichtes, die Undulationstheorie, wurden gefunden. Diese Entdeckungen über unsichtbare Theile der Natur blieben freilich bis heute in gewissem Sinne unvollkommen. Denn das Geheimniß scheint schwer zu lösen, ob dieselben eine materielle Existenz haben oder ob sie bloß Zustände andrer Körper sind. Die Verbindung von Kraft und Materie, welche anfangs der dynamischen Theorie von Leibnitz im Weg zu stehen schien, schließt an sich die Existenz einer Materie ohne kräftegebende Eigenschaften aus. Hier zeigt sich allerdings die Unmöglichkeit, daß die Struktur des menschlichen Gehirnorganismus ausreicht, um solche immateriellen Begriffe zu begreifen. Hier steht er gleichsam einer Innenwelt der Außenwelt gegenüber. Unerschrocken warf sich daher der französische Geist nunmehr auf die greifbaren Theile der Natur. Die Chemie experimentirte sich neue Gesetze zurecht, welche die Eigenschaften der Natur beherrschen, durch das Studium der molecularen Zusammensetzung der Atome.
    Auch über diesen wichtigsten Zweig moderner Wissenschaft suchte sich Krastinik zu belehren, wo er über Lavoisier, den Gründer der wahren Chemie, Aufschlüsse fand – betreffs der Oxydation der Körper und ihrer Verbrennung, sowie der Function der Nahrungsmittel –, welche ihn zu dem heutigen Stand der Chemie – betreffs der Verbindung chemischer und elektrischer Gesetze – hinüberleiteten.
    Damals gewann auch die Geologie ihren ungeheuren Aufschwung, die Wissenschaft der örtlichen Gesetze, der terrestrischen Einrichtung der Massen. Buffon entnahm aus Anregungen von Leibnitz und Descartes die Vorstellung von der Centralhitze, welche schon die Pythagoräer und Zoroaster

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