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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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sein Lebenlang, ohne dessen Gehalt zu prüfen. Der theologische Gott, Staat, Autorität, Ehre, Freiheit, – alle solche Begriffe werden zu unnützen Kinderklappern, mit denen die thörichte Menge ihr Gehirn betäubt.
    Indem er mit verzweifelter Kraftanstrengung sich der Lectüre philosophischer Naturwissenschaften ergab, durch Chemie, allgemeine Physik und Physiologie langsam zu den Ergebnissen der neusten Epoche unter Liebig, Darwin, Helmholtz, Dubois-Reymond vorrückte, begann sein spekulativer Geist, der nie dichterisch-gestaltend, sondern didaktisch seine Anschauungen vollzog, allgemeine Schlüsse aus nüchternen Thatsachen zu ziehen. Die Theorie des Kraftwechsels und die zunehmende Darlegung der Thatsache, daß überhaupt nichts unregelmäßig, gestört oder dem Naturgesetz zuwider sei, beruhigte ihn über die scheinbare Wirrung und unlogische Ungerechtigkeit menschlicher Schicksale. Die Theorie des großen Pathologen Hunter, betreffend die innere Balance des Mitgefühls zur Thätigkeit, eröffnete dem einsamen Wahrheitsucher seltsame Schlüsse, worunter der vornehmste: daß Passivität weder der Menschennatur entspreche noch zur Tugend werden könne, da nur Thätigkeit das Mitgefühl fördert.
    Damit fiel sein Wunsch, sich einsam »einzubuddeln« über den Haufen. Selbst das heilige Licht, das uns Lebensbedingung, ist ja Bewegung. Wärme ist Licht in Ruhe, Licht ist Wärme in reißender Bewegung. So ist Genie vielleicht nur eine Metamorphose der stillen vorbereiteten Wärme seiner Zeitumgebung.
    Ob nun die deutschen Geologen wie Buch und Humboldt sich an Werner's Wassertheorie oder die Briten sich an Hutton's Feuertheorie über Entstehung und Veränderung der Erde anschlossen, überall wurde den großen Urkräften der Natur sorgsam nachgestellt. Nur die neptunischen und plutonischen Urkräfte, die im Geistes leben der Natur, also der Menschheitsgeschichte wirken, blieben verhüllt wie zuvor. Man vermochte die vulkanischen Kräfte der französischen Revolution noch immer nicht nach ihrer Gattungsart und ihrer inneren geologischen Lage genau in ihre Bestandtheile aufzulösen.
    Und doch lehrt jene große Auffassung, welche die Unzerstörbarkeit der Kraft und die Unzerstörbarkeit der Materie zugleich erfaßt, welche die geringste Bewegung des kleinsten Körpers in weitester Ferne als Ursache ewiger Folgen erkennt, wunderbare Schlüsse auch über die Menschenentwickelung. Ja, die Erhaltung oder Beharrlichkeit der Materie-Kraft, wie sie Herbert Spencer in seinen »
First principles
« bereits in die abstracte Philosophie einführte, scheint gewiß nur ein größeres allgemeines Vorbild der Geistkraft-Erhaltung, so daß nichts im Haushalt des Menschendaseins umsonst geschieht und kein Körnchen von der großen Gesammtheit getrennt werden kann, ohne den ganzen Bau zu stören. Hierdurch wird das Gejammer über jegliches persönliches Leid zur Narrheit, da es ja zur Gesammtordnung mitgehört, zugleich aber auch die Ueberhebung jeder Größe ein eitler Wahn, da alles Existirende in gleichem Maße dem großen Endzweck dient.
    Der Baum der Erkenntniß ist nicht der des Lebens, wohl wahr, wenn man das thörichte Sinnenleben im Kampf ums Dasein meint. Wohl aber pflückt man von diesem Baume eine süße Frucht, welche gottähnlich macht und doch gerade durch diese gottähnliche Milde jeden Größenwahn für immer zerstört.
    Denn das eigentliche innere Wesen des Größenwahns ist die Selbstsucht, eine tollgewordene Selbstsucht, die mit einer Art Farbenblindheit nichts sieht als sich selbst und mit neidischem Haß alles verfolgt, was außer ihr selber existirt. Diese Neidwuth zähmt sie nur dann, falls irgend ein augenblicklicher Vortheil von dem andern Object zu erwarten scheint. Ein Größenwahn, der für Verdienste außer ihm überhaupt noch ein Auge hat, verliert schon seinen eigentlichen Charakter. Selbstbewußtsein und Größenwahn, sind gar verschiedene Dinge.
    In den Augen der modernsten Wissenschaft bleibt vom Menschenthum nur übrig – ein boshafter Affe. Das ist falsch. Es giebt viele schlechte Kerle, deren Lebensgenuß im Bösen besteht, wäre es auch nur im bösen Maul, das jedes Edle und Große zu ihrem eigenen Niveau herabzerrt. Allein, es mangelt auch nicht an gutartigen Naturen, deren Egoismus, diese natürliche Spiralfeder aller Dinge, sich liebevoll sänftigt und allem Lebenden freundlich gegenüber tritt. Traurig genug, daß die klare Erkenntniß, nur Selbstlosigkeit bedinge das wahre Glück, den

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