Größenwahn
Gefühle des Menschen bilden für sich ein Epos vom heiligen Gral.
Wie frohgemuth sitzen sie erst beieinander, gleich König Artus' Tafelrunde. Die Welt ist ihnen ein Bilderbuch voll Farben und Ideen und aus den Hieroglyphen der Weltgeschichte liest sie den klarsten Sinn. Lancelot vom See, die kühne Abenteurerlust, erfaßt die Natur mit ungebrochener Jugendlust. Tristan und Isolde finden sich in sinnlicher Leidenschaft, begehrungssüchtig und subjectiv, Parzival's Venuswunden heilen von selbst in sentimentaler Schwärmerei. Wohl tritt dann die wirkliche Leidenschaft verderblich in den Kreis, wie Ginevra, die königlich stolze, aber auch sie zerrinnt in resignirte Wehmuth. Da naht Merlin, die philosophische Auffassung der Welt, und wühlende Reflexion vernichtet die Schaffensfreude. Fey Maglore von der schwarzen Klippe, die Feindin Ginevras, lockt in ihren Bann und abgegohrene Liebessymptome verlieren sich allmählich in blasirte cynische Selbstverspottung. Kay der Seneschall regelt mit kalt kritischer Ironie die Dinge. Nach den Enttäuschungen der scheinbaren äußerlichen Erfahrung entsagt der Geist dem Behagen am fabulirenden Bilderreichthum der Wirklichkeit in erlogener Ruhe. Aus realistischem Arbeitstrieb keimt der Hochmuth eines gleichgültigen Materialismus. Doch der ungestillte Trieb nach idealer Erlösung und festerem Lebenshalt ringt nach Befreiung, der wunde Titurel harrt auf das erlösende Wort des Grals.
Wer aber Avillion finden will, das Eiland der Seligen, der muß wählen Frieden durch den Kampf, Ruhe im Sturm. Da klärt sich des rüthselvollen Menschenlebens letzter Schluß, daß nur liebevolle Versenkung ins Allgemeine aus liebloser Einsamkeit erlöst. Nur Liebe für die Idee, nur Streben nach einem Ideal, nur dies macht theilhaftig des heiligen Gral, begräbt den Titurel des ringenden Ichs und krönt Parzival's Irren und Leiden.
Die Seele, welche gelernt auf sich selbst allein zu bauen, in sich selbst ihre Stärke zu suchen – die Sporen des Hasses, der Verzweiflung, der Menschenverachtung hetzen und zerfleischen sie nicht mehr. Menschenverachtung sollte immer bei sich selbst anfangen. Menschenverachtung, die ja doch die Menschen braucht – allerdings nur als Sclaven und Beifallskatscher, aber doch immer braucht.
Nicht länger beneidet die genesene Seele den Flitterkram äußerlicher Lüste. Durch den feurigen Ofen hindurchgegangen, abschmelzend die Schlacken gemeinerer Selbstsucht, wurde sie kalter biegsamer Stahl. Jetzt ist sie zum Ritter geschlagen d.h. zum freien Manne. Wer die Menschen nicht bedarf, trägt auch nicht ihre Ketten. Nur wer sie nicht braucht, liebt die Menschen aus selbstbeglückender Sympathie, aus erhabenem Mitleid Aller für Alle. Nur das ist der wahre » Weg zur Freiheit .«
Aber nur die alte Erzeugerin und Erhalterin der Weltgesetze, Eros und Anteros die großen Gewalten, nur die Liebe erlöst. Und Liebe ist, langmüthig, sie hadert nicht, sie beugt ihren Willen unter den der andern, unter den höheren Willen des Ideals, wie es eingeschrieben in des Menschen Gewissen. Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach; Liebe allein macht stark, indem sie das schwache Ich demüthig dem starken Allsein vermählt.
Vom Ganges her rauscht aus Palmen und Lotoskelchen des Büßers Braminenlied: Wer störungsfrei, begehrungsfrei zum andern Ufer hingelangt, wer nichts zu eigen haben will, der nenne Buddha's Jünger sich.
Aber ist Freisein von Leidenschaften nicht ein widernatürliches Unding? Nur für das entnervende Klima Indiens könnte das passen. Nicht die Verneinung, sondern die Verstärkung des Willens hat den rastlosen Vorwärtsdrang unsrer Civilisation ermöglicht. Den Willen brechen heißt eine Tugend empfehlen, die keine Tugend ist. Es gilt vielmehr, die Leidenschaft auf geistige Ziele mit der gleichen dämonischen Stärke hinzulenken, mit welcher der gewöhnliche Mensch sinnliche Ziele erstrebt. Haß gegen das Schlechte ist eine glückbringende Leidenschaft.
Aber durch Erkenntniß unsrer eignen Unvollkommenheit sollte Mitleid mit fremder Unvollkommenheit in uns erwachen. Dies Mitleid hat jenem Todten gefehlt. Wohl berechtigte ihn sein Geistesstolz zu einem Gefühl überlegener Selbstabsonderung. Aber nie schmolz seine Härte in der weisen Demuth, welche die Untheilbarkeit alles Seins erkennt. Verrichtete nicht darum der Heiland an seinen Jüngern niedere Dienste? »So nun Ich, euer Herr und Meister, euch die Füße wusch, so sollt ihr auch euch untereinander die
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