Größenwahn
Füße waschen.« Und sprach Er nicht die abgrundtiefen Worte – – hier, hier stehts: Ev. Joh. 14, 12 –: »Wer an mich glaubt, der wird ebenso große Werke thun wie ich, ja wird größere thun als ich.« Besagt doch diese Ablehnung persönlicher Alleingeltung klar genug, daß nicht die Person des Gottmenschen, sondern sein Prinzip das ewig Zeugende vorstellt, dessen Wirkung sich in stetiger Evolution vererbt. Nach ihm werden noch Zahllose gekreuzigt und zahllose Wunder geschehn. Der eine Opfertod eines sündenlosen Menschen ist die Quelle alles Lebens in Ewigkeit. Denn er stellt das einzig Feste, Unvergängliche dar, an das sich der Glaube zu klammern vermag. Und nur der Glaube an das Ideale hat erlösende Kraft.
Noch höher aber als den Glauben stellt das Christenthum die Güte des Unbewußten, die freie ursprüngliche selbstgeringachtende Liebe, ohne welche dem Apostel alles »klingendes Erz und tönende Schelle« erscheint. Ja, unter den Pharisäern befanden sich gewiß viele hochmoralische Werktagsheilige. Aber ein Gedanke wahrhafter Reue wiegt vor dem Richterstuhl der ewigen Liebe alle Sünden auf, während die eitle lieblose Gewohnheitstugend sich niemals selbst erlöst und ewig schmachtet in den Fesseln des kleinlichen Ich.
Dies Mitleid, diese Demuth, dieser Glaube und diese Liebe bleiben nie passiv, nie Stagnation des Willens, sondern schöpfen ihre Kraft aus werkthätiger Begeisterung, wie da geschrieben steht: »Nun ist des Menschen Sohn verklärt und Gott ist verklärt in ihm.« Der Begriff von der Einheit alles Seins, des Irdischen und Ueberirdischen, welcher dämmernd im menschlichen Gemüthe schlummert, ist hier Wahrheit und Klarheit geworden – »mit der Klarheit, die ich bei Gott hatte, ehe denn die Welt war.« (Ev. Joh. 17, 5.)
So besiegt das Christenthum den Pessimismus durch den Pessimismus. So wird sich ewig der Mensch selbst erlösen müssen im Kampfe mit der Welt. Wer sich an den Abgründen des Lebens scheu vorüberdrückt, wird nie die wahre Bestimmung des Menschen erkennen. Der wirkliche Idealist wird jeden Pessimismus abweisen, eingedenk der Worte: »So euch die Welt hasset, so wisset, daß sie Mich vor euch gehasset hat.« Dem erlösten Geiste kommt »die Gemeinschaft der Heiligen«, die Verbindung, mit allen großen und guten Geistern der Vergangenheit und der Mitgenuß all ihres geistigen Schaffens. Das ist eine Erhebung der Seele, welche jeden irdischen Schmerz unter die Füße tritt. Das ist der Tröster, von dem der Erlöser kündet: »Ich will euch einen andern Tröster geben, daß er bei euch bleibe ewiglich: Den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht kann empfangen, denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Ihr aber kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein.«
Wohl fühlte der große Todte in sich jene Geistesstimme, von der es heißt in den Römerbriefen Pauli: »Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, daß ihr euch fürchten müßtet. Derselbe Geist giebt Zeugniß unserm Geist, daß wir Gottes Kinder sind.«
Doch weil Leonharts Herz, ursprünglich reich an Güte und Wohlwollen, sich aus Verbitterung in starre Selbstsucht krampfhaft zusammenzog, hörte er nicht die Erlöserstimme: » Wer immer mich liebt, den werde ich lieben und mich ihm offenbaren .« Ihm aber, der zum erstenmal seit Kindertagen wieder die Bibel las, dem weltfremden Gottsucher offenbarte sich Gott.
Alles was in der Welt eintrifft, hat sein Zeichen, das ihm vorhergeht. Die zahllosen verschiedenen Ideen, die verworren durcheinander murren, sind Vorzeichen einer ungeheuren Bewegung.
Er dachte an Lamennais' »Worte des Glaubens« (Leonhart hatte ihm einst dies Buch geschenkt): »Junger Soldat, wohin gehst Du? Gehe streiten, daß alle einen Gott auf Erden und im Himmel haben.«
Alle einen Gott, alle, die so verschiedenen Stammes? Ja, nur die Masse, das Allgemeine vermag zu siegen. Wer würde das Stimmchen der vielen armen unmerkbaren Geschöpfe hören, wenn im Frühling ein Summen den Wiesen entsteigt? Unzählbare Laute sind es, die sich hier vereinen – einzeln würde keins von ihnen gehört werden – doch, alle vereint, machen sie sich vernehmlich weithin über die Erde, als unartikulirte Allstimme der Lebenskraft.
Was vermag der Einzelne heut? Weniger denn je! Wer darf aber gar über Leiden klagen, ohne daß seine Tugenden ihm ein Recht dazu geben? Schon in der Uebergangsepoche der Childe Harold-Wertherzeit mahnt Chataubriand seinen René: »Wer Kräfte
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