Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
Vom Netzwerk:
deutungsvollen Licht, ähnlich der Luftmalerei der Impressionisten oder Turner's englischen Landschaften. Das nervöse Auge, mit unnatürlich zarter Netzhaut die Naturvorstellungen in sich auf.
    Ja, da war das alte Haus! Da war die alte Treppe, aus deren moderig staubigen Winkeln ihm ein Stück Vergangenheit entgegenkreischte. Rieselte nicht sein Herzblut verstohlen aus jeder Stufenritze?
    Er klingelte. Richtig, nicht die Thüre von rechts, wo Frau Lämmers wohnte, sondern die links nach Kathis Zimmer öffnete sich. Ein Frösteln lief ihm unwillkürlich den Rücken entlang. Ja, das war Schicksal!
    »Wer ist da?« fragte die altvertraute Stimme. Ihm stand das Herz einen Augenblick still, dann strömte das Blut mit rasender Gewalt zurück.
    »Ich, Rother!« sagte er mit fester Stimme.
    »O!« Es schien, als ob sie mit einem unartikulirten Laut zurückflüchte.
    »Ich will und muß Sie sprechen.« Sie verhielt sich still. Er erhob die Stimme: »Hören Sie nicht?«
    »Ja doch,« flüsterte sie.
    Er glaubte durch die Wand hindurch zu sehn, wie sie athemlos an der Thür lehnte.
    »Wissen Sie, was der Kerl da, der Kohlrausch, mir gestern geschrieben hat?« Keine Antwort. »Ich frage, ob Sie das wissen?«
    »Nein,« sagt sie, »der ist ja in Hamburg.«
    »Nein, der ist hier.«
    »Davon weiß ich nichts.«
    »Gut, also öffnen Sie. Wir wollen ein letztes Wort miteinander reden.«
    »Das können wir ja auch so.«
    »Dummes Zeug! Wollen Sie aufmachen oder nicht?«
    »Machen's nur keinen solchen Lärm! Die Leute werden noch kommen. Was soll ich überhaupt reden! Ich habe Ihnen ja doch immer gesagt..« ein ironischer Klang lag in den Worten.
    »Ach Sie! Halten Sie den dummen Mund!« fuhr es ihm heraus.
    »Nun, dann kann ich ja gehn!« rief sie heftig und ging – er hörte die Thür des Zimmers hinter ihr zuschlagen. Er wartete noch einen Augenblick und pochte. Dann ging er geräuschvoll die Treppe hinab. Aber als er bis zur nächsten Straßenecke gelangt war, fiel es ihm schwer aufs Herz, daß er den Weg umsonst gemacht und ein Gespräch ja doch nothwendig sei. Kurz resolvirt kehrte er um. Wieder klingelte er. Sie kam.
    »Verzeihen Sie meine Grobheit,« sagte er mit gemessenem Ton »Ich will ja ganz ruhig mit Ihnen reden. Es ist das Beste für uns Beide. Sprechen wir uns nicht vorher aus, so kann allerlei Unglück kommen. – Hören Sie mich?« fragte er nach einer schweren Pause, da sie nicht antwortete.
    »Ja. Aber ich kann nicht aufmachen und meine Wirthin ist ausgegangen und hat mich abgeschlossen.«
    »Larifari, so werde ich nachher wiederkommen. Wann?«
    »In einer Stunde. Aber geben Sie mir Ihr Wort, daß Sie mich nicht beschimpfen wollen. Ich könnte es nicht ertragen.«
    »Gut, ich gebe es. Adieu.« – –
    Es war ein frostiger windiger Abend. In einer Kneipe der Müllerstraße trank er sich Wärme zu und poussirte die Kellnerin, ein Mädchen von besserer Sorte, die ihn anschmachtete. Er erinnerte sich noch später daran, wie ihm das in einem solchen Moment möglich blieb. So begegnet sich ewig der bitterste Ernst mit dem Leichtsinn, wie mit der ritterlichsten Romantik die nackte Prosa. Hatte er doch, ehe er zu seiner Göttin emporstieg, stets erst dafür gesorgt, daß er sich eines gewissen menschlichen Bedürfnisses vorher entledigt hatte, damit es ihn bei dem langen Gespräch da oben nicht störe. Das ist der Mensch mit seiner Doppelnatur, das ist das menschliche Leben ... Sie öffnete wortlos, er trat wortlos ein. Erst als er Stock und Cylinder ablegte, seinen Paleot anbehaltend – es war bitterkalt in der Stube –, brummte er mürrisch: »Guten Abend!«
    »Dito,« murmelte sie finster. Sie trug einen Schlafrock, hatte sich aber dick mit einem Plaid umwickelt und litt an starkem Schnupfen. Im Uebrigen sah sie blaß aus, mit rothen Flecken auf der Backe.
    Die hin- und herwogenden Anklagen und Mittheilungen stellten alsbald die Affaire Wursteler in einem ganz anderen Lichte dar. Grade dieser hatte vielmehr auf die Frage Kathis, was Rother treibe, geantwortet: »Ach, der ist ja total verrückt!« und ihn andauernd den »albernen Anstreicher« genannt. Auch war die Mittheilung Kathis »der will mich heirathen« nur im tiefsten Vertrauen erfolgt. Was nun Kohlrausch anbelangt, so sei das ein sehr anständiger Mensch u.s.w.
    »Hm, das ist ja möglich« meinte Rother. »Er hat aber auf mich einen sehr ungünstigen Eindruck gemacht.«
    »So? Nun, auf mich grade umgekehrt,« sagte sie mit ruhigem Lächeln und zeigte ihm,

Weitere Kostenlose Bücher