Größenwahn
erzählt. Und wenn er im letzten Nothfall dort nachforschte, so würde, sie schon Mittel finden, Alles todtzuschweigen. Was konnte bis dahin ihm nicht ohnehin für Schaden erwachsen, falls dieser Kohlrausch in seinem eigenen Liebeswahnsinn ...
Kurz entschlossen, sich an diesen Strohhalm zu klammen, telegraphirte er an Knorrer nach Roveredo. Ein langes Telegramm, worin er Alles andeutete und diesen bat, ihm Gewißheit zu schaffen, ob in Trient eine Kathi Kreutzner mit einem Hauptmann vom Genie u.s.w. Wo dieser jetzt stehe. – – –
Er malte nun ruhig an seinem Bilde fort.
Siehe da, am zweiten Abend nach Absendung seines Telegramms nach Roveredo, erhielt er einen saugroben Brief des
p.p.
Kohlrausch, worin ihm dieser ankündigte, er werde sich jetzt hier mit »Frl. Kreutzner« einrichten und nun wegen der ihm und ihr zugefügten Beleidigungen Schritte thun.
Rother antworte nicht. Er wartete auf das Antwort-Telegramm aus Roveredo. Es kam. – Genaues konnte ihm sein Freund nicht mittheilen. Allein, so viel hatte er in Erfahrung gebracht: Der betreffende Hauptmann vom Genie, dessen man sich an Ort und Stelle noch wohl erinnerte, sei später zur Cavallerie übergetreten. Sein Name sei: Graf Xaver Krastinik . – –
Ohne Verweilen verschaffte sich Rother von einem befreundeten Offizier eine Rangliste der Oesterreichischen Armee. Richtig! Bald hatte er den Namen gefunden. Ein ungarisches Husarenregiment, Garnison bei Pest. Ohne Verzug telegraphirte Rother an das Regimentskommando, Rückantwort bezahlt, ob er den Herrn dort treffen und sprechen könne.
Seine fieberhafte Nervenaufregung steigerte sich bis zu Appetit- und Schlaflosigkeit. Er hatte sich in die Geschichte so hineingeredet und hineingelebt, daß ihm sein ganzes Leben daran zu hängen schien. Und war es nicht so? Stand seine Liebe nicht auf dem Spiel? Doch die war ja verloren. Nein, nun galt es seinen Namen. Die Schande, die Lächerlichkeit! Sein reizbares Ehrgefühl überwand das nicht; nein, daraus mußte noch Schlimmeres erfolgen. Man trieb ihn zum Aeußersten, so wehrte er sich. Ob das Mittel ganz anständig sei, diese Frage kam hier nicht in Betracht; hatte man nicht ehrlos an ihm gefrevelt? Man wehrt sich am besten, indem man selbst zuschlägt. Die beste Vertheidigung ist der Angriff. – Ob man ihm antworten würde? Er sollte nicht lange in Zweifel sein.
Ueberraschend schnell, mit ungarisch ritterlicher Liebenswürdigkeit, ward ihm Antwort. Graf Krastinik sei auf Urlaub, nach England verreist. Seine Adresse wisse stets, wie er beim Regiment hinterlassen habe: Lord Dorrington, Boltons Terrace, London.
Rother besann sich nicht einen Augenblick. Auch dies Hindernis noch – sei's! Hatte er die Sache einmal so verzweifelt ernst genommen, so wollte er sie durchführen. Was hatte er sonst auch noch für Interesse am Leben! Einer Erholung bedurfte er so wie so; Geld genug hatte er gerade; so ging er am besten allen Unannehmlichkeiten zu Haus aus dem Wege. Wenn ihm jener Kerl etwa persönlich eine Droh- und Daumschrauben-Visite macht! (Er sah eben Alles in vergrößertem Maßstab und düsterm Lichte.) Wozu noch zögern!
Schon der andre Morgen sollte ihn auf der Fahrt nach Hamburg sehn. Die nächste Route, die über Belgien und Calais, mochte er nicht wählen, wegen der drohenden Kriegsgerüchte.
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Den letzten Abend vorher hatte ihn Annesley besucht, der wie gewöhnlich seine Hülfe in irgend einer musikalischen Angelegenheit beanspruchte, um dann wie gewöhnlich emphatisch zu versichern: »Ihr Wohlwollen ist der einzige Sonnenstrahl in meinem nächtigen Sein. Ich armer Verfaulter und Siecher aus diesem Hunde Erdball! Sie sind ein vollkommener Gentleman, Sie sind –«
»Schon gut,« unterbrach ihn sein Gönner, der diese Aufwallungen schon kannte. »Kommen Sie man 'raus aus der guten Stube und an die frische Luft! Sonst jammern wir uns Beide wieder 'was vor!«
Es war noch früh am Tage, gegen 6 Uhr. Auf der Leipzigerstraße vor dem blauweißen Schilde des »Weihen-Stephan« (jenem historisch merkwürdigen Lokal, wo einst der größenwahnsinnige Oppositionsführer des Reichstags von einigen angezechten Ulanenoffizieren offiziell hinausgegrault wurde) stieß Rother auf ein Paar, das in schweigender Größe lustwandelte.
»Ah, Servus!« Man grüßte sich. Rother stellte »den hochbegabten Componisten Henri Francis Annesley« den beiden Herrn
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