Größenwahn
entgegentreten würde. Würde sie ohnmächtig werden? Würde sie still warten oder den Kohlrausch rufen, so daß eine Zwiesprache unmöglich wäre? Der Wille zum Leben, der Liebestrieb, tobte wieder übermächtig in ihm. – Er besuchte, Annesley und fand einen Kranken im Bette, der ihm gestand, daß er wieder in unerhörter Weise an einem selbstzerstörenden Laster leide. Der Adonis war sichtlich abgemagert; sein Auge glanzlos gläsern, gelb seine Wangen. Aus unglücklicher Liebe habe er sich, wie ein Andrer dem Trunk, dieser Ausschweifung ergeben.
»Seien Sie glücklich!« sagte Eduard. »Ich im Gegentheil werde immer straffer und eherner und ersticke beinah an unbefriedigter Sehnsucht nach einem bestimmten Geschöpf. Links ein Abgrund, rechts ein Abgrund – und ich in der Mitte!«
Sie unterhielten sich noch eine Weile über das Weltweh und jammerten sich etwas vor. Jedoch verabsäumte Annesley nicht, nebenbei naiv seine Ruhm-Geschäfte zu besorgen. Er beschäftigte sich nämlich gerade damit, pseudonym (er hatte es bis auf zwanzig Pseudonyme gebracht, von denen er die Hälfte als Componist, die andre Hälfte als Selbst-Kritiker in Musikzeitungen verbrauchte) seine neusten » Lieder ohne Worte von Ralf dem Schönen « nach allen Richtungen der Windrose auszuposaunen. Es war dies eine Bethätigung des Weltekels, wobei er regelmäßig seinen väterlichen Freund Rother zu Rathe zog. Dieser, schwach und schwächlich auch in seiner aufsprudelnden Gutherzigkeit, die ihn zu lächerlichem Uebereifer für etwaige Genossen und Schützlinge verleitete, lief nämlich seit lange umher und pries den neuen Mozart. Er schmuggelte sogar die Partituren Annesleyscher Lieder auf Salon-Bechsteins ein und verführte Sängerinnen dazu, das berühmte Lied »Leise blüht mir im Gemüth Blümlein wunderblau«, wozu der Componist selbst den Text geliefert (»Gewidmet dem von ihm hochverehrten Voll-Künstler und einzigen anständigen Gentleman Europas, E.R.«), in Gesellschaften vorzutragen.
Um Abwechslung in ihr heutiges Jammerduett zu bringen, erzählte ihm Annesley grauenhafte Dinge aus seiner frühsten Vergangenheit. Der reine Lord Byron, der von schrecklichen Geheimnissen fabelt. Manchmal empfand Rother, trotz seines liebevollen Wohlwollens, den leisen Wunsch, seinen Hut zu ergreifen und sich aus dem Staube zu machen, – da der Wunderknabe allzu sonderbare Selbstanklagen auftischte. Doch wirkte das Alles zuguterletzt nur komisch, da man es unmöglich für wirklich erlebt halten konnte. Um den Unglücklichen aus seiner Selbstmordstimmung zu reißen, forderte ihn Rother auf, mit ihm einen Nachtkneipen-Bummel zu machen. Mit genialischen Kraftmensch-Schritten wandelte alsbald der neue Mozart neben ihm her, wobei er oft eine drollige Anhänglichkeit an den Tag legte und sich mit begeisterter Handbewegung als »Rothers Schatten, Rothers Hündchen« bezeichnete. – – Als Rother sich am anderen Morgen in seinem Bett schläfrig dehnte, beschlich ihn das Gefühl einer gewissen seelischen Behaglichkeit. Die Wollust wirkte bei ihm wie eine homöopathische Kur für die ermattende Liebes-Ausleerung idealer Sehnsucht.
Sobald er sich also der gemeinen Begierde hingegeben, entwich die ganze Pein seinem Innern und die äußerste Gleichgültigkeit ergriff ihn. Verschwunden war der ganze entschlossene wilde Kampftrieb der unglücklichen Liebe, und völlige Vergessenheit, kaltes Lethe, floß über ihn hin. So völlig bleibt der Mensch von seinen psychischen Nervenzuständen abhängig. Die Abtödtung der Nerven führt die Abtödtung der Leidenschaft mit sich: Wille und Leidenschaft schwächen sich in genau entsprechender Weise.
Wer starken Willen hat, hat auch starke Leidenschaft. So bestimmen sich Beide gegenseitig und behindern sich theils, theils beflügeln sie einander. Beide aber sind abhängig vom Nervensystem. Selten wird daher ein Kummer sofort durch Arbeit überwunden. Es muß eine Schwächung des ganzen Menschen durch Extravaganz vorhergegangen sein. Gift wird nur durch Gegengift paralysirt.
Nachdem der Geist durch Aufregung der Nerven die Seßhaftigkeit echter Arbeitskraft eingebüßt, fühlt er dann plötzlich diesen Trieb zurückströmen. Die Arbeit geht mit maschinenhafter Leichtigkeit von Statten. Was vorher schwer schien, wird jetzt federleicht. Das Stoßen der aufgeregten Gedanken, das vielfältige Durcheinander, bei dem es fortwährend heißt: »Was zuerst beginnen!« hat aufgehört und mit größter Ruhe wird die Arbeit
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