Größenwahn
Täuschungen, Kränkungen, Irrwege, Zeitvergeudungen und Albernheiten des Lebens von Kindesbeinen an, deren Erinnerung auf einen hamletisch grübelnden Geist von krankhafter Sensitivität als unerträglicher Wust und Ballast drückt, nöthig und in sich nützlich erscheinen, um eben die spezifische Individualität aufzubauen. Die Individualität aber ist aller Dinge einzig Wesenhaftes und stellt sich siegreich der überwältigenden Fülle der sogenannten Wirklichkeit, dieses großen Scheinlebens, gegenüber.
Es ließ ihm doch keine Ruhe. Etwas mußte ja doch geschehn. Schon Weihnachten vorüber! Vor Neujahr trafen die Hamburger Feinde ja doch sicher ein. Sollte er zu Frau Lämmers eilen, bei welcher sie jedenfalls Wohnung nahm? – Da riß ihn ein Brief aus aller Ungewißheit.
»Nach erfolgter Ankunft in Berlin theile Ihnen mit, daß Fräulein Kreutzner während ihres vorübergehenden Aufenthaltes in Berlin unter meinem persöhnlichen Schutze steht und ich etwaige Anfechtungen Ihrerseits mit allen mir zu Gebote stehenden Mitteln bekämpfen werde – ebenso auch zudringliche Besuche und Briefe von Ihnen ohne jede Rücksicht beseitigt werden. Sobald ich mich in meiner Wohnung eingerichtet bin, werde Sie bitten, mir in Gegenwart von Fräulein K. persöhnliche Genugthuung für Ihre mir gewidmete Insulte zu zu geben – nach diesem werde ich nicht verfelen Ihnen meine Referenzen bekannt zu machen, damit Sie wissen, daß ich bin
Maximilian Kohlrausch,
Inhaber echter Bier-Restaurants.«
Das erste Gefühl Rothers nach Lectüre dieses originellen Opus trieb ihn zu einer starken Zwerchfellerschütterung. Das ist ja der reine Größenwahn ! O Maximilian, der letzte Ritter!
Das zweite Gefühl hingegen trieb ihn instinktiv, seinen starken Stock zu ergreifen, als wolle er sofort eine körperliche Züchtigung vollstrecken.
Den dritten Antrieb endlich vollzog er sofort, indem er gelbe Handschuhe anzog, seinen Cylinder aufstülpte, den Pelzkragen in den Nacken schob und in voller Gala nach der Gerichtsstraße hinausfuhr. – Frau Lämmers empfing ihn mit langem Gesicht. »Ja ... sie ist hier.« Sie habe sich aber in ihrem Zimmer eingeschlossen. Wiederholtes Ersuchen um eine Unterredung hatte keinen Erfolg. Sie ließ ihm sagen, sie sei ihm nicht böse, aber sprechen könne sie ihn nicht.
Rother überwand sich und ging. – Er machte die üblichen Neujahrsvisiten er versuchte auch wieder zu arbeiten. Aber das gelang nicht. Ihm war zu Muth wie Einem, der zu starke Cigarren geraucht. Stundenlang lag er müßig auf dem Sopha, und wie Blei lag es in seinen Gliedern. Eine Art seelischer Impotenz entkräftete ihn. Statt zu arbeiten, brütete er wieder über seinen alten Arbeiten, fand diese bald ganz elend, bald erwog er, wie wenig seine Bedeutung gewürdigt sei. Dann kam es wieder über ihn, wie ein Jähzorn des Größenwahns, daß er alle Papiere und Zeichnungen um sich her zerriß und wie ein Raubthier im Käfig umhertollte. Stundenlang um Mitternacht trottete er auf dem naßkalten Trottoir in schneidendem Strichwinde die Friedrichstraße entlang und ließ die Nachtwandlerinnen vor sich Revue passieren, als ob der schnöde Sumpfgeruch dieser Asphaltblumen seine Nerven stärken könne. Das bläulich-weiße Licht der Laternen, das Grau in Grau der Häusermassen schien ihm ein Abbild seines öden grauen Innern, in dem es von grellen verlöschenden Straßenlichtern zuckte.
Mit einem kräftigen Entschluß ermannte er sich nochmals sein Glück zu versuchen, indem er sie überraschte. Er fuhr hinaus. Die Sonne ging grade unter.
Durch den eigenthümlichen Reflex des Schnees und der schneeathmenden Winterluft erschienen rothe Backsteinmauern wie zu zartem Rosa abgetönt. Wo hingegen die Sonne darauf funkelte, blitzten braun oder gelb angestrichene Erkerfronten und Thüren in grellstem Gelb, durch den Gegensatz der ringsumher gehäuften glitzernden Schneemassen.
Am Himmel hing eine dicke röthliche Wolke wie ein Thurm, der vornübergeneigt herabzustürzen droht. Das Rothe löste sich in eine halb zinnoberrothe halb schwefelfarbene Mischung. Es war, als gähre die Wolke gleichsam von innerem Brand.
Wie ein Riesengeier strich eine andre Wolke schwarz und breit am Horizonte hin. Auch sie spreitete ihre Schwingen, als wolle sie senkrecht herniederstürzen – wie, der Condor der Cordilleren, der als Punkt überm Haupte des Wanderers schwebt, immer größer und größer hinabschießt.
So sah er die Dinge in einem seltsam
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