Größenwahn
der Zeit, eine Welt in Waffen wider uns! O selig, Blutzeuge des Lichtes zu sein! So mein Urtheil über die Welt. Ich habe mich Ihnen heut ganz erschlossen. Uebrigens dürfte demnächst mein Tagebuch erscheinen: ›Aufzeichnungen eines verrückten Musikers‹, natürlich pseudonym. Darin werden Sie schreckliche Dinge aus meiner Vergangenheit finden. Ich sage Ihnen ...« er machte dabei eine Handbewegung, indem er die Stimme dämpfte, als vertraue er einem Geheimbündler schaurige Staatsgeheimnisse an. »Hier finden Sie den Schlüssel zum Verständniß meiner Irrsal. Ja, wäre ich als Lord geboren wie der selige Byron! Aber so! Leben Sie wohl! Falls ich nicht in einer Kaltwasserheilanstalt meine Gemüthskrankheit heilen muß, bitte ich alle Briefe nach Venedig zu adressiren, wohin ich im Frühjahr reise. Nachher mache ich wohl mit meiner Tante eine Tournée durch alle Badeorte Deutschlands, um meine Prachtausgabe zu verbreiten und mich als Sänger probeweise hören zu lassen. Man sagt mir, Niemann werde alt; ich dürfte wohl an seine Stelle treten.« So phantasirte der eisige Egoist in seiner brennenden Eigenliebe drauf los; seinen Freund hatte er längst vergessen. »Doch was für eine Zugluft hier!« Er hielt sich das Taschentuch vor den Mund. »Meine Stimme, meine Stimme! Ich muß sie schonen. Also glückliche Reise, lieber Freund!«
Der unheimliche Jüngling stolzirte mit langen Beinen in die Nacht hinein. Rother lachte bitter – jenes messerscharfe Lachen, das wie ein Dolch in die Seele sticht und schärfer brennt als Thränen. Die Menschenwüste dehnte sich vor ihm hin – öde, öde, öde.
Am andern Vormittag, als er eben seinen Koffer in die Droschke steckte, die ihn zum Lehrter Bahnhof trug, erhielt er noch ein parfümirtes Billetdoux von Henry Francis Annesley, in eigenthümlich gemessenem Stil:
»Hochgeehrter Herr ,
Bei unserm gestrigen Beisammensein entschlüpften mir allerlei Andeutungen betreffs eines Büchleins, das pseudonym in Leipzig soeben erschien. Ich erlaubte mir, verzeihen Sie, eine kleine Mystifikation . Das Büchlein ist nicht von mir, sondern von einem Studienfreunde aus der hiesigen Musikalischen Hochschule (Conservatorium). – Ergebenst grüßt Ihro Genie Gnaden der Adonis und Schmerzens-Lazarus
Henry Francis Annesley .
P.S.
Vielleicht interessirt es Sie zu vernehmen, daß ich im Laufe nächsten Frühjahrs ein Concert im Leipziger ›Gewandhaus‹ veranstalten werde. Sie erwähnen das wohl gelegentlich in Ihren etwaigen Privat-Correspondenzen nach Deutschland. Auch darf ich wohl darauf rechnen, daß Sie, falls Sie von London über dortige Gallerieen an eine Kunstzeitung correspondiren, auch meiner Wenigkeit irgend wie dabei gedenken werden. Sie wissen, wie dankbar ich Ihnen bin.
P.P.S.
Anbei eine soeben erschienene Recension über das oben erwähnte Büchlein.«
Dieser Zeitungsausschnitt lautete:
Tagebuch eines verrückten Musikers von F.H. Hummerscheere . Obschon ein literarisches Erstlingswerk, athmet es die Reife des Genies. Hier wird die erbliche Nervenkrankheit oder »Paranoia« mit wunderbar pathologischem Realismus zergliedert. Herrlich sind die Streiflichter, welche auf den großen unglücklichen Monarchen Ludwig II. fallen, den Hummerscheere so schön anredet: »Du warst ein Kind und ein Genie.« Hummerscheere ist auch ein Meister der Satire; das beweist die drollige Figur des liebeskranken Malers Emil Knothe.
Harold Theopol Mokamaute.
Rother zerriß das Gewäsch mit einer Miene des Ekels. Das war selbst seiner Sentimentalität zu viel. – Den Sinn des Unbegreiflichen verstand er freilich erst später, als ihm das »Tagebuch« vor Augen kam und er in dem Maler Emil Knothe lauter Aeußerungen und Züge von sich selbst wieder erkannte, die ihm der liebe Wunderknabe während ihrer Intimität abgelauscht. Was interessirte ihn überhaupt jetzt das Alles! Auf nach London!
Leonhart bummelte langsam fürbaß. Der Gedankengang, den er damals in der Kneipe abgebrochen, setzte sich unabgerissen wieder fort: Er dachte an das Leben Napoleons. Wie oft verschmilzt sich erotische Leidenschaft mit dem politischen Schicksal, wie oft bestimmt ein Weib durch den verliebten großen Mann die Geschicke der Welt!
Es wäre ein tragikomischer Spaß, die Briefe des eifersüchtigen Siegers von Italien an die Citoyenne Bonaparte neben die Eifersuchtsbriefe der Kaiserin Josefine an den Sieger von Austerlitz und Jena, der ihr verbot mit ihm ins Feld zu reisen, um erotisch
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