Größenwahn
einen hysterischen Lachkrampf befürchten. »Na gewiß. Er hat doch auf Dich ein Lied in Musike gesetzt › Die Reue ‹, worin er von den Furien seines Gewissens und Deiner geknickten Unschuld redet.«
Die kleine Dame war außer sich. »Meine Unschuld soll der Stiesel man ja in Frieden lassen! Für den is das nichts. Der kooft den alten Fritzen doch nich.«
»Na, aber ich bitte Sie, Ihr intimes Verhältniß ...«
»Was, intim?! Sie haben wohl einen Vogel. Nich mal mein ›Freund‹ is er jewesen. Der alberne Stiesel mit all seine faule Redensarten! ›Retten‹ hat er mir wollen – so 'ne Qualmtute! Mit keinem Herrn hab ich mich so gelangweilt! Der saß ja man bloß immer da und starrte mir an.«
Schmoller konnte sich nicht mehr halten; er brüllte vor Lachen. Leonhart schüttelte wehmüthig den Kopf:
»Immer die alte Geschichte. Zu lächerlich, um tragisch, zu tragisch, um lächerlich zu sein.«
Die beiden Damen nahmen jedoch Schmollers cynisches Gelächter sehr übel, da sie den Grund nicht verstanden. »Na, Sie scheinen mir ooch ein oller Nassauer! Lachen Sie man über Ihnen selber – das is jesund!«
Leonhart kannte seinen erhabenen Freund zu lange, um sich noch zu wundern, daß Schmoller, statt zu lachen, wüthend losdonnerte:
»Was, Sie wollen hier frech werden und Bilder rausstecken? Wissen Sie, wen Sie vor sich haben? Für was halten Sie mich?«
»Für einen Schornsteinfegermeister!« kicherte die Kleine schnippisch. Schmoller wurde dunkelroth vor Wuth.
»Da! da! Lesen Sie!« Er rieß seine Brieftasche heraus und entfaltete einen Pack Zeitungsblätter, wo Recensionen über sein sociales Sittenbild » Die Enterbten « roth angestrichen waren, indem er mit der flachen Hand auf die betreffenden Stellen schlug. »Da! Das bin Ich! Der deutsche Zola! Ja wohl, Sie freches Mensch! Wissen Sie das wohl?«
Leonhart empfahl sich in aller Eile, worüber sich Kamerad Schmoller wieder mörderlich erboste. »Das ist auch Einer, der an seinem Messias zum Judas wird!« lallte er mit geballter Faust. Leonhart lachte. Offenbar hatte der große Sittenmaler wieder zu viel getrunken; er konnte nicht viel Spirituosen vertragen, weil er so viel »ins Leben hineingespuckt« hatte, was gewiß sehr angreifend gewesen war.
»Wie?« hörte man ihn drohen, als der Aufseher des Cafés erschien und um Ruhe bat. »Sie wollen, mir den Mund verbieten? Ich bringe Alles in meinem nächsten Roman ...«
»Ach, bringe Dich doch mal selbst hinein, alter Junge,« dachte Leonhart, als er fürbaß schritt.
»Dieser Original-Figur ist Deine Feder selbst allein gewachsen.«
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Obschon Annesley durchaus noch in der Bodega oder sonstwo ein anständiges Glas Wein trinken wollte, um den Abend cavaliermäßig zu schließen, widerstand Rother, so willig er sich stets vom Egoismus seines Schützlings terrorisiren ließ, diesmal dessen Wünschen. Er müsse für die Reise morgen frisch bleiben. Annesley trippelte neben ihm her, ein gut Stück aus seiner Richtung ausbiegend, um Rother auf dessen Heimweg zu begleiten. Große Federflocken schüttelten sich auf die nächtlichen Straßen herab und breiteten einen weißen Teppich, der den Schmutz des Tages verwischte. Rother, stets aus Empfindsamkeit und unbewußter Eitelkeit eine warme Gesinnung Anderer für ihn muthmaßend, fühlte sich gerührt, daß der Wunderknabe ihn so anhänglich durchs schlechte Wetter begleitete.
»Nun gehn Sie nur nach Hause, lieber Freund. Es ist sehr hübsch von Ihnen, daß Sie mich am letzten Abend, wo wir beisammen sind, nach Hause bringen. Aber Sie werden sich erkälten ... scheiden wir hier!«
»Ja, das wollt' ich eben sagen,« sagte der treue Freund. »Ach beiläufig, ich suche noch nach etwas ewig Weiblichem – können Sie mir vielleicht noch zwanzig Mark borgen?« Rother sah ihn an und lächelte bitter. »Nun, das ist doch nichts für einen Mann wie Sie. Sie wissen ja, Sie kriegen's immer übermorgen wieder.«
Es war dies Annesleys Manier, trotz seines eigenen vollen Beutels – er wollte offenbar stets Rothers Freundschaft prüfen. Dieser lachte herzlich und wohlwollend:
» Darum reiten Sie mit mir durch Nacht und Wind? – Na, da!« Er reichte ihm das Goldstück. »Also adieu!«
»Ja und die Prachtausgabe meiner ›Kinder des Leids‹ widme ich Ihnen. – Glauben Sie nicht, daß mir das nützen wird ?! Bei Ihrem großen Anhang ...«
Rother
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