Größenwahn
antwortete nicht und hustete. »Sehn Sie, so drücke ich Ihnen meinen Dank vollauf aus – für so manches Gute, daß Sie an mir gethan haben.«
Rother antwortete nicht. Er dachte an die Feindschaften und Verleumdungen, die er sich wegen des kleinen Nero zugezogen. An den Bruch mit Collegen, welche ihm seinen »hochbegabten Schützling« als ohnmächtigen Charlatan schimpfirten. An all die Stunden, wo er die morsche verrottete Seele aufgerichtet. An seine väterlich aufmunternden Gespräche mit Annesleys Tante (bei der dieser wohnte) über alle Leiden, welche der größenwahnsinnige Wicht derselben verursachte; einmal hatte er in einem Wuthanfall seines Weltwehs auf sie ein thätliches Würge-Attentat versucht. Er dachte an die seelische Blutvergiftung , welche, ihm der Umgang mit diesem brünstig nach Weltlust schmachtenden Weltverächter zuzog, der seinem Persönchen ein ideales Martyrium anlog, um desto brünstiger der Befriedigung unersättlicher Eitelkeit und Ichsucht zu fröhnen. An die Selbstschwächungs-Manie, welche der begnadigte Stimmungsfritze um sich verbreitete, alles Männliche und Reale als »unpoetisch« verpönend – was auf Rothers receptive schwächlich-empfängliche Natur den gefährlichsten Einfluß gehabt hatte. An seine ganze geistige Vormundschaft diesem naseweisen undankbaren Knaben gegenüber. Schon hatte ihm Leonhart mitgetheilt, daß Annesley mit Rothers Todfeind, dem Kunstkritiker Doctor Kratzenthal, hinter dem Rücken seines Gönners gegen diesen conspirire. In einer Gesellschaft habe er sich von dem Maler Adolf von Werther sogar mit Hochgenuß erzählen lassen, Rother schwebe schon lange am Rande der Lächerlichkeit – ohne dagegen zu opponiren.
Damals hatte Rother darauf nicht geachtet; es widersprach seiner nobeln Natur, gleich das Schlimmste zu glauben. Jetzt aber, wie von einem plötzlichen Blitz erleuchtet, lag der Charakter dieses Pseudo-Weltschmerzlers (Pessimystiker sind immer die schlausten Geschäftsleute) ihm bis in die innersten klaffenden Spalten vor Augen.
»Wissen Sie,« brach Annesley das Schweigen, während sie an einer zugigen Ecke zögernd stillhielten, »ich bin immer noch ganz paff über diesen Leonhart. Das ist ja ein ganz communer Bursche, ohne alle Vornehmheit. Hatte mir den immer gedacht als ein
enfant gâté,
als einen ›Löwen‹ der Berliner Salons – wissen Sie, so eine Art Lord Byron. Nein, diese Enttäuschung! Ein ganz schmutziger gewöhnlich aussehender Dutzendlitterat, so ein richtiger Scribeler und Schmierfink!«
»Hm, nein!« Rother war, wie alle bildenden Künstler, aufs Beobachten von Physiognomieen eingeschult. »Er sieht eigentlich doch recht bedeutend aus.«
»Wie, sind Sie toll? Diese unbedeutende Erscheinung, diese mittelmäßige Figur! – Und was für eine schlotkerige Haltung! Wie er schon dasitzt! Und dabei dieser Größenwahn! ›Sie Lump, prahlen Sie doch nicht so!‹ wollte ich ihm schon zurufen, hihi.«
Rother besann sich vergeblich, ob Leonhart geprahlt hätte. Es war bezeichnend, daß Schmollers offenkundige Ueberhebung wegen ihrer Pöbelhaftigkeit Niemanden beleidigte, während Leonharts stiller Hochmuth jede verkniffene Eitelkeit verletzte.
»Denken Sie an meine Worte,« stieß Annesley hervor, »Der wird noch mal vor Größenwahn im Irrenhause enden!« Dabei rollte er so dämonisch seine Augen, daß Rother sofort die bekannte Wahrnehmung einfiel, daß Geisteskranke immer die Andern ihrer eignen Laster und Fehler bezüchtigen. Indem er im kalten Licht des Wintermonds einen festen prüfenden Blick auf den unheimlichen Jüngling warf, las er jetzt, worüber seine Gutmüthigkeit sich weggetäuscht, mit psychologischer Klarheit. Dieser lauernde verschleierte Blick, die studirt sanfte verschleierte Mollstimme, das unnennbare Weltleid dazu gerechnet, ergaben ihm das Resultat:
Zu allem fähig.
»Also ich komme nicht weiter mit. Adieu!« rief der ideale Schmerzenreich. »Wenn wir uns nicht wiedersehn sollten, wünsch' ich Ihnen ein besseres Loos, als das meine auf diesem Hundeerdeball. Ich habe keine Empfindung mehr. Verzeihen Sie also, wenn ich Ihr freundschaftliches Liebeswerben« Rother runzelte die Stirn, »nicht immer gleich warm erwidern konnte. Ich schleppe mein Martyrium weiter auf meiner Dornenbahn. Ja, hätte man in andere Lebenskreise meine strebende Jugend gestellt! In alle Höhen und Tiefen wäre mein bescheidener Geist gedrungen. Doch –
Arma parata fero!
Durch Nacht zum Licht! Wir stehen im sausenden Kampfe
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