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Gromek - Die Moral des Toetens

Gromek - Die Moral des Toetens

Titel: Gromek - Die Moral des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lutz
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scheppernden
Durchsagen. Sie hatten soeben die Zollabfertigung umgangen. Deren Beamte waren
gerade dabei, die zusammen mit ihrem Begleiter eingetroffenen Passagiere
sorgfältig zu kontrollieren, wie sie mit einem schnellen Seitenblick
feststellen konnte. Der Südamerikaner, dem ihr Blick nicht entgangen war,
grinste hämisch.
    Ohne weitere Umwege führte Lisa ihren Begleiter zu der Tür in der
Nähe der Zollabfertigung und klopfte zweimal kräftig dagegen. Der
Breitschultrige öffnete sofort und ließ die beiden eintreten. Wie bei ihrem
ersten Aufeinandertreffen ging er wortlos zur zweiten Tür voraus, wobei er den
Südamerikaner zu sich winkte. Der drängelte sich an Lisa vorbei und verschwand
aus ihrem Sichtfeld. Der Muskelmann drehte sich um.
    »Du kannst gehen. Gut gemacht, Schätzchen.«
    Er betrat den Raum am Ende des Ganges, schloss die Tür geräuschvoll
hinter sich ab und ließ Lisa in der Enge des Ganges stehen. Beinahe hätte sie
laut gelacht. Nach mehr als drei Jahren hatte sie diesen Gorilla von einem Mann
zum ersten Mal überhaupt ein Wort sagen hören.
    »Schätzchen!« wiederholte sie. »Ich glaub', ich spinne!«
    In einer anderen Damentoilette als zuvor entledigte Lisa sich
ihrer Uniform, der kastanienroten Perücke und der anderen Ausrüstungsgegenstände.
Endlich war sie wieder in Zivil. Sie trat in die Empfangshalle, umging eine
Traube von Angehörigen, die auf die Rückkehr ihrer Lieben warteten, und brachte
den handlichen Aluminium-Koffer wieder zum Schließfach Nummer 205 zurück, um
ihn dort zu verstauen.
    In dem besagten Fach stand schon ein anderer Koffer für sie bereit.
Lisa ahnte, was er enthielt, und öffnete ihn nur widerstrebend, wobei sie
darauf achtete, dass niemand außer ihr den Inhalt sehen konnte.
    In dem Koffer befand sich ein aus dunklem, feingemasertem Kiefernholz
gefertigter Kasten, der mit rotem Samt ausgeschlagen war. Sein Inhalt bestand
aus einer silberglänzenden Pistole der Marke SIG-Sauer  P 228
Compact, Kaliber-9, einem Schalldämpfer und einem Ersatzmagazin mit 14-Schuss
Munition.
    Zögernd nahm Lisa ihr einst bevorzugtes Tötungsinstrument in die
Hand, das sie einmal in- und auswendig gekannt hatte - damals, als sie für die
Gefahrenklasse eins eingestuft gewesen war. Sie hatte es seit dem Überfall in
dem Bonner Restaurant vor elf Jahren nicht mehr zu Gesicht bekommen.

4 .  Bubeck
     
    Wolfgang Bubeck ging die mit dem Unrat eines Fastfood-Restaurants
übersäten Treppen zur U-Bahnstation im Bezirk Stadt-Mitte hinab. Ein Schwall
verbrauchter Luft kam ihm entgegen, der durchsetzt war mit den Ausdünstungen
eines türkischen Kebab-Standes und dem strengen Geruch nach deutschem Harn.
    Bubeck stieg in die Linie U2, die ihn in einem voll besetzten
Triebwagen über die Stationen Märkisches Museum und Rosa-Luxemburg-Platz in den
Ostteil der Stadt brachte. Dass er seit einer Stunde von Gromek verfolgt wurde,
hatte er bisher nicht bemerkt. Der saß sechs Reihen hinter ihm und vermied es,
seine Zielperson anzusehen. Stattdessen betrachtete er wie beiläufig die anderen
Fahrgäste. Direkt vor ihm saß eine ältere Dame und blinzelte kurzsichtig die
Schlagzeile ihrer BILD -Zeitung an. MYSTERIÖSER EU-MORD IN BRÜSSEL! WER
TÖTETE MITARBEITER VON INNENMINISTER STEINHAMMER? BELGISCHE POLIZEI NOCH IMMER
OHNE SPUR! verkündeten die Lettern Sensation heischend.
    Als die U-Bahn ihre Endhaltestelle Vineta-Straße im Stadtteil Pankow
erreichte, stieg nur noch eine Handvoll Menschen aus. Wolfgang Bubeck achtete
nicht auf seine Umgebung, während er den vertrauten Weg nach Hause nahm. So
entging ihm, dass in dem Moment, als sich die Türen zur Weiterfahrt auf das
Kehrgleis schlossen, ein noch übriggebliebener Fahrgast den Wagen verließ und
sich mit einigem Abstand an seine Fersen heftete.
    Die letzten Fahrgäste hatten sich schnell zerstreut. Bubeck lenkte
seine Schritte zunächst in Richtung Chaussee-Straße, wo sich ein ehemaliger
Grenzübergang befand. Bis 1989 war er den Westberlinern vorbehalten gewesen und
hatte danach seine Bedeutung verloren. Keine 100 Meter von der U-Bahnstation
entfernt bog Bubeck in eine stille Seitenstraße ein. Nach wie vor ahnungslos
schritt er über das Kopfsteinpflaster der schmalen Gasse, die in einer für den
Bezirk Pankow eher schäbigen Gegend lag, und steuerte auf einen heruntergekommenen
Tante-Emma-Laden zu. Als er das Geschäft betrat, bimmelte eine über der Tür
angebrachte Glocke, deren Klang im Laufe der Jahre matt geworden

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