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Große Ferien

Große Ferien

Titel: Große Ferien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Bußmann
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abgebrochene Arbeit gebracht hatte, darauf, dass Schramm alles, wie der Bruder es nannte, hingeworfen hätte. Der Bruder, der bald Schramm einen Vorwurf machte, bald bei sich selbst die Schuld fand für diesen Verlust. Doch gibt es Dinge, die geschehen von allein, dachte Schramm, auf Verantwortung kam es auch hier nicht an, so wenig wie auf jenes gedankenlose kleine Gespräch, auf Viktors unbedarfte Fragen und unbedachte Äußerungen.
    Schramm stieg die Verandatreppe hinab, setzte sich auf die unterste Stufe, hinter sparrigen Wacholderzweigen versteckt. Er wollte sie loswerden, diese kleinen giftigen Gedanken, sie erklärten nichts Neues, sie lenkten nur von Wichtigerem ab. Zumindest waren sie leicht zu übertönen, Kinderstimmen genügten. Durch die Scharten zwischen den Doppelhäusern drang ihr Schnattern zu ihm her, sie wurden nicht müde, einander zu beschimpfen, zu bejubeln, in lang ausgreifender Art ihre Witze zu erzählen, Anweisungen zu erteilen, die Regeln zu bestimmen für ein neues Spiel. Und allem Anschein nach verwandten sie größte Mühe auf diese Festsetzungen und Anweisungen, dachte Schramm, weniger auf das eigentliche Spiel.
     
    Es besprechen, dachte Schramm, er hatte es besprechen, beim letzten Besuch schon wenigstens eine Frage zu den Methoden des Arztes stellen wollen, es wäre möglich gewesen, hätte er sich nur entschiedener verhalten. Er hätte sich herausreden, eine kleine Lüge erfinden können. Es gehe um einen Kollegen, die Frau eines Kollegen, einen Freund. Kurz nach seinem Anruf war Viktor eigens angereist, hatte ein Wochenende hier verbracht, zusammen mit dieser Frau, die er offenbar schon länger kannte, ohne dass ihr gemeinsamer Status bis ins Letzte geklärt schien.
    Ist sie nun deine Freundin, oder was eigentlich, hatte Schramm ihn fragen müssen, weil er nicht schlau geworden war aus der Art, wie der Bruder und die Frau sich miteinander benahmen. Oft wandte sie sich im Reden entweder dem einen oder dem anderen von ihnen besonders zu und legte ihm ihre flache Hand auf den Unterarm. Bei ihm wie beim Bruder benutzte sie diese Geste, eine Linie unter das Gesagte ziehend, als könnte es nicht für sich stehen, sondern bräuchte diese Berührung, diesen zusätzlichen Schub. Offenbar dringend, dachte Schramm.
    Er hatte seine Frage nicht, wie man es kannte von ihm, lange im Kopf gehabt, die Worte bedacht und den passenden Moment, es war ohne Vorbereitung einfach so aus ihm herausgeschossen. Und er war selbst nicht glücklich mit seinem Ton, doch musste er erfahren, wie die Dinge standen zwischen diesen beiden. Nicht meine Freundin, seufzte Viktor, sie gehört mir nicht, ich habe sie ja nicht gekauft. Da war es wieder gewesen, dachte Schramm, dieses Auf-der-Hut-Sein, diese Wachsamkeit, zu der man im Gespräch mit dem Bruder zwar nicht ständig gezwungen, an die man nur gelegentlich erinnert wurde, was nicht weniger erniedrigend ausfiel.
    Dabei war es gar nicht das gewesen, was er am dringendsten hatte wissen wollen. Begriffen hätte er gern, was den Bruder zu dieser Frau und umgekehrt die Frau zu ihm hinzog. Was sie trieb, aneinander festzuhalten. Er wollte es nicht laut sagen, aber es war leicht zu sehen, dass diese Frau seinen Bruder falsch behandelte.
    Als Versuch, dachte Schramm, als Versuch galt es ihnen wahrscheinlich beiden, als etwas Zufälliges, das man ohne großes Bedauern liegen lässt, sobald man auf etwas Interessanteres stößt. An Waidschmidt musste er denken, an dessen schmaläugig, zufrieden vorgebrachte Aussprüche: Was mich interessiert, sind Vorgänge im Gehirn. Oder: Wollen Sie uns hinterher, ist es das, was Sie wollen, wollen Sie einmal dabei zuschauen, und es reichte, an diese Frage zu denken, und an das Mädchen, eine von drei Annas im Jahrgang, sie trug einen wippenden Pferdeschwanz an ihrem vollgelernten Kopf. Ist es das, was Sie wollen, Herr Schramm! Der Gedanke genügte, damit ihm Beleidigungen einfielen, Flüche und Verwünschungen, aber jetzt war da nichts. Er griff in die Krume, ließ sie durch die Finger rieseln und Luft aus seinen Lippen heraus, mit dem verächtlichen Ton, den ein dürftiger Witz verdient. Kein Zorn war in ihm, wenn er an diese Frage und dazu dieses Gesicht dachte, mit seinen dünnen gehobenen Brauen. Nur noch die unbestimmte Traurigkeit, die von der Langeweile kommt. Gegen die muss man etwas tun, wenn man sie einmal hat.
     
    Er sah dem Hund zu. Der Labrador wirkte nervös. Er strich am Grundstücksrand herum, auf und ab trabte er, vor

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