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Große Ferien

Große Ferien

Titel: Große Ferien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Bußmann
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dem Tannenschatten verschwand er mit seinem schwarzen Fell. Sich selbst überlassen, gerufen wurde er nicht. Was war da bloß los, dachte Schramm. Und fasste nach einem Stein, rund wie eine Kugel, beinahe vollkommen. Schramm wischte ihn ab, nach alter Gewohnheit am Hosenbein, wischte, bis der Stein weiß war und schön. Er würde ihn behalten, er lag gut in der Hand. Nichts Ungewöhnliches, dachte Schramm, dass gerade die Ehrgeizigsten, die Strebsamsten am Ende die Nerven verlieren. Die mit den größten Plänen werden am schnellsten verrückt. Und das war es, was diesem Mädchen an Waidschmidt gefallen hatte, darum hatte sie sich mit ihm eingelassen, dachte Schramm, eine, die sich kümmerte, die in diesem überdrüssigen Blick tiefe Schwermut, jedenfalls ein Geheimnis sehen wollte. Aber Liebe war nur ein ganz zufälliger Name dafür.
    Schramm wusste nicht mehr, hatte er den Bruder gefragt, wo der seine Mädchen kennenlernte und wie er mit ihnen zusammenkam. Oder war es der andere gewesen, der von sich aus begonnen hatte, zu erklären, welche Schritte zu tun sind, wenn man eine für sich gewinnen will. Eine Abfolge von Maßnahmen, dachte Schramm, eine Reihe von Regeln, als handelte es sich um ein Spiel, in dem man sich nur möglichst geschickt anstellen muss.
    Als Kinder unzertrennlich, jedenfalls eng beieinander mochten sie gewesen sein, auch in den schwierigsten Zeiten miteinander vertraut. Bis es aufgehört hatte, dachte Schramm, und dachte wieder an Viktors Englandfahrt, von der dieser ihm nie groß erzählt hatte. Wie er an irgendeinem Punkt überhaupt aufgehört hatte, zu erzählen, was er tat. Eine und dann noch eine. Und zu keinem dieser Mädchen gab es Vor- oder Nachgeschichte, Heimat oder Beruf, sie waren eine Zeitlang da, wie etwas, dessen Auftauchen sich kaum bemerkbar machte, ein harmlos stummer Begleitumstand, bis sie, auch das ohne große Worte, verschwanden.

D en Knotengarten, den Klaußner, mittig des Grundstücks, in aufwendiger Arbeit angelegt hatte, hasste Schramm. Er wollte nicht hinsehen, er hasste ihn, und noch in dem Trümmerfeld, das stattdessen jetzt dort lag, erkannte er die Konturen. Die künstlich verflochtenen, zum Nest ineinander, übereinander gezwungenen Lebensbaumhecken. Mit jedem Beschnitt noch hässlicher, noch verschlungener, noch ärger gegen die Natur, ein ganz sagenhafter, hier passte das Wort, Nippes.
     
    Eine, dann wieder eine hatte der Bruder gehabt, ohne Pause, ohne Übergang, jeder hätte Mühe gehabt, sie auseinanderzuhalten. Fünfzehn, als es anfing, doch genau erinnerte Schramm es nicht, er hatte zu der Zeit genügend anderes zu tun gehabt. Zweitausend Meter, häufig mehr war er geschwommen, eine Zukunft war ihm versprochen worden in dem einen Sommer, als er den Bruder unfreiwillig beobachtet hatte. Hinter Buschwerk, an die Freibadmauer gedrückt, standen sie, das Mädchen rücklings an den unverputzten Stein gelehnt, ihr Gesicht verschwunden hinterm Bruderkopf. Zusammengewachsen zum mehrbeinigen, träge zappelnden Schalentier. Unter seinen Achseln hingen ihre Arme herab, die Hände. Daran erinnerte sich Schramm, auffallend kleine Hände hatte dieses Mädchen gehabt im Verhältnis zu ihrem massigen Körper.
    Zum Schwimmbad hatte er gewollt. Erst vor kurzem hatte der Bademeister versucht, ihn für den Verein zu gewinnen, der Verein, hatte der Bademeister gesagt, könnte dir etwas bieten, und er zeigte auf die Schwimmer, mit ihren Hauben und Brillen, im seitlich abgeteilten Bereich. Schramm versuchte es sich vorzustellen, er in dieser Reihe, auf einem Siegertreppchen, einen Pokal im Arm. Der Bademeister tippte mit dem Zeh an seinen Oberarm. Ich habe nicht viele gesehen, die so schnell lernen, sagte er. Schramm griff nach dem Beckenrand, stemmte die Fußsohlen an die Kachelmauer. Er dachte an die Fotos der letzten Siegerehrung, an Peter Schlaudt in Badehose auf dem Treppchen, diese Feierlichkeit in grob aufgelöstem Bleichgrau. Er drückte abwechselnd das linke, das rechte Knie durch, sah auf die Füße des Bademeisters am Beckenrand, die langgliedrigen Zehen, Knöchlein und Sehnen unter sandtrockener Haut. Hüftbreit aufgestellt, knapp hinter der Einfassung des Beckens, einem blass gerillten Fliesensaum, durchbrochen von der übergitterten Laufrinne, wo das Beckenwasser hineinschwappte. Schramm schüttelte den Kopf. Ich bin lieber für mich, sagte er, überleg es dir, sagte der Bademeister, schon den Schwimmern auf der anderen Seite der Korkleine zugewandt.
    Ob er

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