Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 2 (German Edition)

Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 2 (German Edition)

Titel: Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Frenz
Vom Netzwerk:
Eine Gestalt kam um die Biegung, ich sah braune Haut, mit einem Schimmer von Grün, einen Mantel aus schwerem dunkelbraunem Tuch – ein Nachtalb!
    Mit einem Aufschrei warf ich mich der Gestalt entgegen und schwang meine Waffe. Ich hörte ein Reißen. Die Klinge schrammte über Rippen und blieb stecken. Mein Gegner taumelte zurück und stieß einen schrillen Schrei aus. Ich schaute nach oben. Dunkle Augen wie undeutbare Abgründe, aber ich las Angst in dem Antlitz.
    Ich wusste, ich hätte die Klinge herausreißen und noch einmal zustoßen sollen, höher gezielt auf das Herz. Aber die Albe vor mir war ein Mädchen, fast hübsch zu nennen, zwei Köpfe kleiner als unsere Elfenspäher und beinahe zu zierlich, um sie zum großen Volk zu zählen. Ihr grünes Blut lief mir warm über die Finger, und ihr Gesicht sah so jung aus!
    Ich ließ den Dolch los und stolperte rückwärts. »Entschuldige«, stammelte ich, »es tut mir leid, ich wollte nicht …«
    Sie wich zwei Schritte von mir fort. Zauber perlten ihr über die Lippen. Ich riss schützend die Arme hoch und krümmte mich zusammen, aber nichts geschah. Vorsichtig hob ich den Kopf und schaute zwischen meinen Fingern hindurch. Ich sah, wie die Albe den Dolch aus ihrer Seite zog. Sie musterte mich mit einem Blick voller Verachtung. Dann strich sie mit den Händen über ihren Leib, und unter ihren Fingern schloss sich der klaffende Schnitt. Nur das dunkle Blut blieb auf der Kleidung zurück.
    Ich starrte sie an, ziemlich großäugig, denn ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass Nachtalben Heilzauber beherrschten.
    Da hörte ich Gulbert rufen: »Volpar!«
    An der Nachtalbe vorbei sah ich ihn auf der Lichtung stehen. Er hatte keinen Gegner mehr und schaute in meine Richtung. Er hob den Stab. Ich trat einen Schritt vor und wollte etwas rufen, aber Gulbert war zu weit weg für eine genaue Erklärung und würde ohnehin tun, was er tun wollte, bevor ich die Zeit fände für viele Worte. Was hätte ich ihm auch sagen sollen?
    Gulberts Zauberfeuer traf die Nachtalbe im Rücken, mit einer solchen Gewalt, dass einzelne Flammen an ihrer Brust wieder heraustraten und ihr den Kittel versengten.
    Ich streckte die Arme aus, um sie aufzufangen – ich erwartete fest, dass Gulberts Feuerlanze sie nach vorne und auf mich zustoßen würde. Aber sie kippte einfach nur um, wo sie stand, und blieb auf dem Gesicht liegen.
    Ich stand einen Augenblick da, fühlte mich kraftlos und hatte das Gefühl, etwas versäumt zu haben. Aber was sollte das sein? Vielleicht lag es an einem Nachtalbenzauber, der mich in den Bann geschlagen hatte.
    Gulbert war als Erster bei mir. Zu dem Zeitpunkt kniete ich schon neben der Albe, stupste sie mit dem Finger an, aber sie war tot, und kein Heilzauber würde sie wieder zurückbringen.
    »Volpar, mein Freund«, stieß Gulbert atemlos hervor. »Ich dachte, ich käme zu spät. Ich dachte, sie hätte dich erwischt.« Die runzelige Haut des Zauberers, die zwischen dem Saum seines Hutes und dem Bart noch zu sehen war, war so weiß wie sein Haar.
    »Es geht mir gut«, antwortete ich, auch wenn ich mich nicht so fühlte.
    Laetas kam als Nächster den Weg entlang, mit Malangar dicht hinter sich. In dem Moment erkannte ich, dass der Kampf vorbei sein musste und sämtliche Alben tot.
    »Sie sah aus wie ein Kind«, sagte ich.
    Der Elf schob eine Stiefelspitze unter die Leiche und drehte sie auf den Rücken. Er musterte die Albe angewidert. »Vierzehn Sommer, schätze ich. Aber auch junge Schlangen besitzen ein tödliches Gift. Du hast dich gut gehalten, Halbling.«
    »Ich habe auch einen Alb erschossen!« Malangar schwenkte aufgeregt seinen Bogen. »Mindestens! Er kam aus dem Turm heraus und wollte zaubern, und wusch … Da hab ich ihn mit meinem Pfeil erwischt. Mitten in der Brust!«
    Wir kehrten zu der Lichtung und dem brennenden Albenturm zurück. Die Tote nahmen wir mit. Rings um den Turm lagen noch mehr Alben, erschossen, erstochen, erschlagen und verbrannt. Meine Gegnerin passte gut in diese Reihe.
    Maneas und Otli warteten neben dem Turm auf uns. Als wir das Gebäude umrundeten, zuckte ich zurück. Da bewegten sich Gestalten auf der Schneise, die von der Lichtung ausgehend tiefer in den Dornenwald führte! Sie trugen Harken und Sicheln, Spaten und Haumesser, und es waren keine Alben.
    Laetas und Maneas schritten furchtlos auf die Kreaturen zu und zogen ihre langen Dolche. Wir anderen kamen hinterher. Gulbert stützte sich auf seinen Stab. Er war zu Tode erschöpft.

Weitere Kostenlose Bücher