Große Kinder
aufflackern, zählen dieReiterkämpfe, Schneeballschlachten und die Handtuchkämpfe im Schwimmbad, manchmal aber auch große Keilereien.
Für die folgenden Gemeinschaftsaktionen gibt es sogar während der Schulzeit glücklicherweise auch heute noch ausreichende Betätigungsfelder: Lehrer ärgern, Unterricht stören, kollektives Schwänzen, Erwachsenen Streiche spielen oder einfach Unsinn machen. Wenn auch seltener, so gibt es aber auch die entsprechenden positiven Varianten, zum Beispiel für den beliebten Lehrer eine Geburtstagsüberraschung zu organisieren oder eine kleine Hilfsaktion auf die Beine zu stellen.
Die Gemeinschaftsaktionen auch in »losen« Gruppen sind außerordentlich wichtige Erfahrungen für Kinder dieser Altersstufe, deren Bedeutung für die Entwicklung von Gemeinschaftssinn nicht unterschätzt werden sollte, auch wenn wir Erwachsenen – meistens zu unserem Ärger – gelegentlich das Ziel der Aktivitäten sind.
Nationalgefühl
Offenbar hängt die Entwicklung des Wir-Gefühls auch mit der Entwicklung des Menschen zu einem »Staatswesen« im weitesten Sinn zusammen.
Etwa Zehnjährige beginnen sich für die Zeitung beziehungsweise die Nachrichten zu interessieren (und finden alles, was mit Politik zu tun hat, furchtbar blöd). Aber sie fangen an, über den eigenen Gartenzaun hinauszuschauen, und vergleichen die Welt dort draußen mit ihrem »Zuhause«, dem eigenen Land, der eigenen Nation.
Am deutlichsten wird diese nationale Identifizierung heutzutage in der Begeisterung der Kinder für die verschiedenen Idole und Nationalmannschaften im Sport. (In anderen Nationen war und ist es beispielsweise auch die Armee, für die sichZehnjährige erwärmen können:
Woran
Kinder ihre nationale Identität, ihr Nationalgefühl festmachen, liegt in der Hand beziehungsweise in der Welt der Erwachsenen.)
Die Beobachtung von Kindern in verschiedenen Nationen und Gespräche mit Erwachsenen, die ihr eigenes Nationalgefühl längst zu den Akten gelegt haben, weisen darauf hin, dass es im Alter zwischen 10 und 12 ganz selbstverständlich ist, Begeisterung für Fahnen, Nationalfarben, Hymnen usw. zu entwickeln. Wenn die Nationalhymne erklingt, dann ist das in diesem Alter ein Gefühl wie bei Fünfjährigen Weihnachten.
Das Gefühl, zu einer Nation, zu einem Land, zu einer Kultur zu gehören, muss eine ähnliche Bedeutung haben wie im Säuglingsalter das Gefühl, zu einer Mutter, und im Kleinkindalter das Gefühl, zu einem Elternhaus zu gehören. Ebenso, wie sich das Kind vom Rockzipfel der Mutter lösen muss, wenn es in seiner Entwicklung nicht zurückbleiben soll, und eines Tages das Elternhaus hinter sich lassen wird, um ein selbstbewusster, unabhängiger Erwachsener zu werden, so wird der reife Mensch Nationalgefühl, Nationalstolz und Nationalbewusstsein (in übertriebener Form) ablegen können, wenn das Bedürfnis danach gestillt ist – und die weiterentwickelten Erwachsenen vorleben, dass man auch sehr selbstbewusst, sicher, frei und tolerant mit Menschen anderer Nationen zusammenleben kann. Menschen, die dieses Vorbild nicht haben, bleiben in ihrem nationalen Bewusstsein wahrscheinlich eher auf dem Entwicklungsstand von Zehnjährigen stecken, als Menschen, in deren Nation Toleranz gegenüber Ausländern als selbstverständliches Zeichen von Reife und Erwachsensein gilt. Von Zehn-, Zwölfjährigen aber zu erwarten, dass sie gleich »erwachsen« sein sollen, indem man ihren altersgemäßen »Nationalstolz« angstvoll unterbindet, wäre absolut unangemessen.
Vermutlich entsteht im Alter um 10, 12 Jahre herum auch im engeren Sinn »kulturelle Identität«: Die landesübliche Musik, die Rhythmen und Tänze der Kultur werden mit überschwänglichem Gefühl aufgenommen, gesungen, in Bewegung umgesetzt und nachgeahmt: Fast jedem Alpenländler wird es auch als Erwachsenem noch warm ums Herz bei Zithermusik, die ihn durch seine Kindheit begleitet hat. Jedem Menschen, der in der Karibik groß geworden ist, zuckt es in den Gliedern und im Herzen, wenn er die Rhythmen seiner Heimat hört. Die bewusste Auseinandersetzung mit kulturtypischer Musik und Tanz beginnt offenbar (erst!) im Alter von 10 bis 12 Jahren. Das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass, wie wissenschaftliche Untersuchungen ergeben haben, das Rhythmusgefühl im Alter zwischen etwa 10 und 12 Jahren deutlich zunimmt.
Jehan Sadat, aufgewachsen in der islamischen Kultur Ägyptens, ordnet die folgende Erinnerung bezeichnenderweise
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