Große Kinder
Kinderfreundschaften ein Segen sein.
Lieblingsfeinde
Der Gegensatz zum Freund ist der Feind. Auch dafür muss man in diesem Alter ein Gefühl bekommen. Und so ist es ganz natürlich, dass »Feindschaften«, ob man will oder nicht, zu den sozialen Grunderfahrungen dieser Entwicklungsstufe gehören. Zum einen brauchen »Lieblingsfeinde« einander, um sich aneinander zu messen, sich zu reiben und dadurch die eigenen Stärken und ihre Grenzen zu erfahren. Zum anderen kann die Erfahrung, dass
richtig
ausgelebte »Feindschaft« letztendlich der gegenseitigen Achtung keinen Abbruch tun muss, sondern sogar in Hochachtung und Freundschaft münden kann, für Kinder in diesem Alter wegweisend sein.
Natürlich muss es dabei nicht gar so hart zugehen wie bei diesen beiden etwa elfjährigen Jungen in Mexiko-Stadt um 1940:
Dieser burro schlug meinem Bruder eines Tages einen Zahn aus. Da ging ich auf ihn los. Es war ein großartiger Kampf. Ich gab ihm einen solchen Schlag, daß er schrie. Als er sah, daß er es mit seinen Fäusten nicht schaffte, biß er mich. Noch heute habe ich die Narbe auf der Schulter, wo er seine Zähne reingehauen hat. Danach wurden wir enge Freunde, wir verstanden uns besser als Roberto
(der Bruder)
und ich, weil wir nichts voreinander verheimlichten. Der burro war niemand anders als mein jetziger compadre und bester Freund Alberto Hernandez.
(Manuel in: Lewis, S. 62)
Die Muster der Auseinandersetzungen, ob mit Fäusten, Waffen oder Worten, haben die Kinder aus der Erwachsenenwelt. Und so steckt auch in den meisten Kinderfeindschaften, die normalerweise vor den Erwachsenen nicht verborgen werden, immerauch die Frage an die Großen: Wie hältst du es mit Feinden? In diesem Alter lernen Kinder entweder, dass man Feinde hat und sie ein Leben lang bekämpfen muss, oder dass man ohne Feindbilder leben und mit
allen
Menschen, trotz aller Antipathien und Gegensätze, partnerschaftlich umgehen kann: Diese Weichen stellen ausschließlich wir Erwachsenen durch unsere eigene Einstellung! Wenn Kinder mit Hilfe der Erwachsenen lernen, ihre Feindschaften zu überwinden, können sie als Erwachsene die besten Friedensmittler und Friedensstifter sein.
Außenseiter
Wie wichtig eine lebendige Beziehung zu Gleichaltrigen ist, wird an den Kindern deutlich, die keine Freunde haben: Ihr Leid ist die schmerzlichste Schattenseite des Kinderlebens. Dennoch scheinen Außenseiter unvermeidlich zu sein, und es wäre naiv anzunehmen, dass es Kindergemeinschaften geben könnte, die ohne sie auskämen: Außenseiter gibt es überall und es gab sie immer!
Wenn Kinder sich zu Gruppen oder Freundschaftspaaren zusammenschließen, grenzen sie damit zwangsläufig andere Kinder aus. Das muss so sein, sonst gäbe es keine Gruppen und Freundespaare, sondern nur einen unklaren Einheitsbrei, in dem
alle
einsam und verloren wären. Wenn sich Kinder zusammen- und damit andere ausschließen, ist das keine bösartige Handlung, sondern ganz unvermeidlich, wenn es darum geht, seinen Platz zu finden und sich in der Gruppe der Gleichaltrigen einzuordnen. Da sich immer die Kinder zusammentun, die sich einander »verwandt« fühlen, werden entsprechend die Kinder ausgeschlossen, die nicht dazu »passen«, von denen sich die anderen unterscheiden. Die Ausgegrenzten werden von den Kindern, die sich zusammenschließen, sozusagen als Kontrasthintergrundgebraucht, vor dem das Gemeinsame der Gruppenmitglieder erst sichtbar wird.
Für das ausgegrenzte Kind ist das wahrlich keine angenehme Rolle. Ausgegrenzt zu werden ist immer eine tiefe Verletzung, denn die Botschaft, die darin steckt, heißt ja nicht nur sachlich: Du bist anders, sondern sie heißt ganz radikal und schonungslos: So wie du bist, passt du nicht dazu! Das trifft und verletzt ein hoch begabtes Kind genauso wie ein lernbehindertes, das Kind mit anderer Hautfarbe genauso wie das schwäbische unter den Hamburger Kindern, das an Diabetes erkrankte Kind genauso wie das stotternde, das Kind des prominenten Vaters genauso wie das des verspotteten Lehrers.
Kinder ausgegrenzt zu sehen, tut auch den begleitenden Erwachsenen weh. Das ist die große Chance für die Außenseiter – manchmal aber auch die große Gefahr. Denn allein ist es für ein zehnjähriges Kind kaum möglich, aus der Position des Ausgegrenzten herauszukommen. Zuweilen verderben aber gerade die Erwachsenen, die es nicht mit ansehen können, dass ein Kind Außenseiter ist, alle Chancen.
Außenseiter in eine
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