Große Liebe Desiree
Nicht nur ein Anwalt, sondern außerdem noch eine hoffnungslose Landratte, dachte Jack, und der Mann sank weiter in seiner Achtung.
Macaffery kramte nach seinem Taschentuch und betupfte sich damit die Lippen. »Ich werde mit Kapitän Fox sprechen, Désirée, und ihn fragen, ob er vielleicht etwas vorsichtiger fahren könnte«, stieß er gepreßt hervor. »Die See ist einfach zu unruhig heute. Sie können hierbleiben, wenn Sie es wünschen.«
»Ach, bitte nicht!« rief sie. »Ich meine - dies ist das letzte Mal für die nächsten Monate, daß wir etwas von Providence sehen. Sie können später mit dem Kapitän sprechen.«
»Dann betrachten Sie es in Ruhe, meine Liebe, aber nicht mit mir. Ich bin sicher, Kapitän Herendon wird Ihnen seine Begleitung antragen.«
»Bitte, Mr. Macaffery!«
Aber er war schon, vorsichtig und gebückt wie eine Krabbe, unterwegs zum Kapitän, der am Ruder stand. Désirée sah unsicher von ihm zu der Stadt am Hang, die ihre Heimat war, hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, einen letzten Blick auf das zu werfen, was sie verließ, und der Angst, mit dem Engländer allein zu bleiben.
Jack nahm ihr die Entscheidung ab, indem er zu ihr kam und sich neben sie stellte. »Bin ich so furchteinflößend, ist meine Gesellschaft so verachtenswert?« fragte er leichthin. »Oder habe ich Sie schon wieder brüskiert?«
Doch Désirée hatte den Mann an ihrer Seite im Moment vergessen. Ihre Aufmerksamkeit war auf den kleinen Fleck gerichtet, der ihr Zuhause kennzeichnete und jetzt allmählich in der Ferne verschwand. All die vielen Male, bei denen sie ihrem Vater und ihren Brüdern zum Abschied nachgewinkt hatte, hatte sie es gehaßt, diejenige zu sein, die zurückblieb. Aber jetzt, da sie selber fortging, fiel ihr die Trennung nicht leichter. Bei all der Aufregung während der Suche nach Black Simon hatte sie kaum Zeit gehabt, ihrer Großmutter auf Wiedersehen zu sagen, nur eine hastige Umarmung und ein Kuß an der Treppe, während die Katze sich zwischen ihnen auf Großmutters Arm festkrallte. Jetzt war es zu spät, um ihr zu sagen, wie sehr sie sie vermissen würde und wie sehr sie sie liebte.
»Es ist schwer, die Heimat zu verlassen, nicht wahr?« fragte Jack leise. In ihren Augen glitzerten Tränen, und als er seine Hand auf die ihre legte, zog sie sie nicht weg. »Aber man sagt, die Rückkehr werde dadurch nur noch schöner.«
»Es ist nur - alles geht so schnell. Ich hatte kaum die Zeit, mich zu verabschieden, und jetzt bin ich hier, auf dem Weg nach England, und Gott allein weiß, was da geschehen wird oder wie lange ich weg sein werde.« Sogar durch den Handschuh hindurch konnte sie die Wärme seiner Hand fühlen, und obwohl sie sich sagte, daß es falsch war, empfand sie die beruhigende Wirkung, die von ihm ausging, als wohltuend. »Wenn es nicht für Obadiah wäre, hätte ich das alles nie angefangen.«
»Daß Sie dies für Ihren Bruder auf sich nehmen, spricht für Sie.«
»Ich kann nur beten, daß ich auf dem richtigen Weg bin.« Sie versuchte ein Lächeln. Es schien so, als würde sie jedesmal in Tränen ausbrechen, wenn sie mit diesem Mann zusammen war. »Ich nehme an, daß Sie Ihr Zuhause häufiger verlassen haben und dorthin zurückgekehrt sind, als Sie zählen können.«
»Um ehrlich zu sein, nein.« Unter seinem Hutrand war die Beule auf seiner Stirn erkennbar, eine stumme Erinnerung an das, was gestern geschehen war. Sein Profil hob sich scharf von dem wolkenlosen Winterhimmel ab, während sein Blick ebenfalls auf die Stadt gerichtet war. Doch er schien etwas zu sehen, das weit in der Vergangenheit lag. »Ich verließ mein Zuhause nur ein einziges Mal, und ich kehrte nie zurück.«
Überrascht sah sie ihn an, verwundert über seinen Tonfall und seine plötzlich verschlossenen Züge. In Rhode Island fuhren die meisten Seeleute das erstemal aufs Meer hinaus, wenn sie noch Kinder waren. Sicher war er in den zwanzig oder mehr Jahren, die seit seiner ersten Reise vergangen sein mochten, wenigstens einmal nach Hause zurückgekehrt. Ihr eigenes Zuhause und ihre Familie bedeuteten ihr so viel, daß sie sich nichts anderes vorstellen konnte. »Niemals?«
»Niemals.« Er zog seine Hand von ihrer zurück, und die Wärme verflog. »Aber hier ist Ihr Freund wieder, und ich übergebe Sie seiner aufmerksamen Fürsorglichkeit. Guten Tag, Miss Sparhawk.«
Ehe sie protestieren konnte, hatte er sich umgedreht und war gegangen. Seine Rockschöße flatterten im Wind, als er mühelos das
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