Große Liebe Desiree
hatte gereicht, um Herendon zu ihrem Lebensretter zu machen. Désirée konnte noch so sehr davon reden, daß sie ihre Tugend nicht verlieren wollte, aber er würde fünfzig Dollar wetten, daß sie in Herendons hochherrschaftlichem Bett liegen würde, bevor sie wieder Land sähen.
Er brauchte nur vorzugeben, krank zu sein, und sich von ihnen fernhalten, dann würde die menschliche Natur triumphieren. Wenn er Glück hatte, würde Herendon ihr ein Kind machen. Dann würde er ihr nach Frankreich und zu Monteil folgen, und jeder wüßte, was der feine Lord Kapitän der Frau angetan hatte, die seinem Schutz anvertraut worden war.
Und dann, dann würde der Teil kommen, auf den Macaffery sich am meisten freute. Ein Wort im Vorübergehen an die richtigen Personen, Gerüchte in bestimmte Kanäle ausgestreut, vielleicht sogar ein geschickt formulierter Brief an die Zeitungen, Unterschrift: »Ein Gentleman aus New England«, und der Skandal wäre plötzlich in aller Munde. Man würde im Parlament dagegen wettern und im Kongreß darüber spotten. Wenn so viel für Amerika davon abhing, den Frieden mit Frankreich zu wahren, warum überging Präsident Adams dann die offiziellen Botschafter in Paris und schickte statt dessen eine schöne, unerfahrene junge Frau aus, um an einen der mächtigsten Männer des Directoire heranzukommen? Eine junge Frau, die eine enge Beziehung zu einem britischen Lord in der Marine unterhielt, der so wenig pflichtbewußt war, daß er sie auf eigene Faust auf der anderen Seite des Atlantik suchte? Eine Frau, deren jüngerer Bruder bereits der Spionage für Frankreich bezichtigt wurde?
Macaffery fuhr sich mit der Hand über den Mund, um das Lächeln zu verbergen, das sich nicht unterdrücken ließ. Alles hatte sich so perfekt von selbst ergeben. Präsident Adams würde sich davon niemals erholen, und Macafferys Verbündete - wohlhabende, mächtige Föderalisten wie er selbst in Providence, Boston, Salem - könnten am Ende einen Präsidenten ihrer Wahl unterstützen. Macaffery wußte, er würde belohnt werden. Ein Posten im Kabinett wäre denkbar oder eine Botschaft in einer europäischen Hauptstadt.
Alles wegen eines Skandals, alles wegen einer einzigen hübschen Frau mit einem kirschfarbenen Hut, die dort saß und mit einem großen gutaussehenden Mann lachte, der einen Zweispitz trug. Manchmal, entschied Macaffery, war das Leben gerechter, als er es jemals für möglich gehalten hatte.
Désirée saß neben Jack und hinter Macaffery am Heck von Herendons Ruderboot, das schnell durch das Hafenwasser pflügte. Sie versuchte beharrlich, die zehn Augenpaare zu ignorieren, die auf sie gerichtet waren. Das also war ihre nähere Bekanntschaft mit der Marine Seiner Majestät: zehn breitschultrige Männer, gleich gekleidet in dunkelblaue Jacken, Flanellwesten über karierten Hemden, gestreifte Hosen und rote Halstücher, mit dem Schriftzug »Aurora« in Gold auf den flachen Hüten. Zehn Männer, die ihr gegenübersaßen, während sie sich gleichmäßig in die Ruder legten, und die stolz darauf waren, zu der Rudermannschaft von Kapitän Lord John Herendon zu gehören. Zehn Männer, die neugierig auf die hübsche kleine Lady neben ihrem Kapitän waren, jeder von ihnen bemüht, sie genau zu betrachten und dabei eine möglichst gleichgültige Miene aufzusetzen.
Désirée zog ihren Umhang fester um sich herum und blickte Jack an. Er war in Gedanken und merkte nicht, wie unbehaglich sie sich unter den Blicken der Männer fühlte. Ihm kam das natürlich ganz normal vor. Sie waren jetzt in seiner Welt, und sie war die Außenseiterin.
Sie hatte es in dem Moment gemerkt, als er an Bord der Katy zu ihr gekommen war. Die Uniform veränderte alles. Er erschien irgendwie größer, eindrucksvoller, furchteinflößender mit den Epauletten und Goldtressen, mit dem Zweispitz und den goldenen Schuhschnallen. Und obwohl er lächelte wie immer und sie wegen ihrer gelben Schuhe neckte, war ihr sofort klar, daß der Jack, den sie jetzt seit zwei Wochen kannte, mit diesem nichts mehr gemein hatte. Aber wer, fragte sie sich betrübt, war an seine Stelle getreten?
»Da ist sie, Désirée«, sagte er stolz. »Dort im Westen liegt meine Aurora.«
Gehorsam blickte Désirée auf die vielen Kriegsschiffe, die vor ihnen vertäut und verankert lagen. Selbst das kleinste von ihnen war größer als irgendein Schiff, das von Providence fuhr, und sogar hier im Hafen, mit eingeholten Segeln und geschlossenen Kanonenluken, erschienen sie
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