Große Liebe Desiree
fragte, was zwischen ihr und Macaffery passiert war, und auch nicht mehr über Robert Jamison zu erfahren wünschte.
Seit jener Nacht, als seine Nähe ihr einziger Schutz vor der Verzweiflung gewesen war, hatte er sie auch nicht mehr geküßt oder in den Arm genommen. Tatsächlich schien die Vereinbarung, die sie vor so langer Zeit in Providence getroffen hatten, endlich doch noch eingehalten zu werden.
Sie stellte ihm keine Fragen. Er hatte seine Gründe, so wie sie ihre hatte. Sie verstand ihn, aber dieses Verständnis linderte nicht das schmerzliche Begehren, das sie für ihn empfand. Und es hinderte sie nicht, sich zu fragen, was wohl geschehen mochte, wenn er ihr eines Abends nicht eine gute Nacht wünschen und die Tür hinter sich schließen würde, sondern bei ihr bliebe.
Und wie würde es an Bord der Aurora werden? Dort war Jack der Herr, und sie sollte ihn ausspionieren. Zu gern hätte sie gewußt, mit wieviel oder wie wenig Macaffery sich zufriedengeben würde. Sie haßte sich dafür, daß sie Jacks Vertrauen mißbrauchte, aber sie hatte Angst vor dem Schaden, den Macaffery ihrer Familie zufügen könnte. Er hatte Zugang zu allen Rechnungen und Aufzeichnungen der Sparhawks. Sowohl Großmutter als auch Jeremiah vertrauten ihm, weil er ein Freund ihres Vaters gewesen war. Keiner von beiden würde glauben, daß er ihr gedroht hatte, erst recht nicht, wenn er ihnen von Robert erzählte.
Sorgenvoll betrachtete sie Jacks Profil, während er mit einem Fernrohr über das Wasser blickte. Sie kannte sein schönes Gesicht jetzt so gut, dieses Gesicht, das von der Sonne gebräunt und von der Kälte gerötet war, das feine Linien um Augen und Mund hatte, die von einem harten Leben erzählten. Wie sehr sehnte sie sich danach, dieses Gesicht mit den Fingern zu berühren, diesen Mund zu küssen und die Fältchen wegzustreicheln!
Jack spürte ihren Blick und senkte das Glas, um sie anzulächeln. Ihr fiel nichts Besseres ein, als verlegen zurückzulächeln, während Wärme in ihr aufstieg und sie dahinzuschmelzen schien.
Nein, es ließ sich nicht mehr länger leugnen. Sie war ganz gefährlich nahe daran, sich in Jack zu verlieben.
Désirée schlug den Deckel ihres Koffers zu und drehte den Schlüssel in beiden Vorhängeschlössern um. Der Lotse war schon an Bord, um die Katy sicher in den Hafen von Halifax zu geleiten, und sie war zum letztenmal in ihre Kajüte gegangen, um fertig zu packen, damit sie bereit war, wenn Jack von Bord gehen wollte. Auch wenn sie ihn noch so sehr neckte, so würde sie doch niemals unterschätzen, wieviel die Aurora ihm bedeutete.
Aber sie war auch nach unten gegangen, um sich zu verstecken, als Macaffery an Deck gekommen war. Er stolzierte herum, den Hut mit einem Schal an der Perücke auf dem Kopf festgebunden, und sein Gesicht drückte feste Entschlossenheit aus. Der Lotse war am Ruder, und die Reise neigte sich ihrem Ende zu, daß die Seeleute Zeit genug hatten, sich hinter seinem Rücken über ihn lustig zu machen und seinen Gang und Gesichtsausdruck nachzuäffen. Für sie war er nichts weiter als ein wichtigtuerischer alter
Clown, aber Désirée wußte es besser. Zum erstenmal fragte sie sich unbehaglich, wieviel von seinen Schrullen er sich bewußt zugelegt hatte, um seine wahren Absichten zu verschleiern. Vielleicht war sogar seine Seekrankheit nur vorgetäuscht gewesen. Jack war schon vorher nach unten gegangen, und so nahm sie sich nicht die Zeit, das alles herauszufinden, sondern ergriff die Flucht, ehe Macaffery zu ihr kommen konnte.
Jetzt stand sie da, die Hände in die Hüften gestemmt, und sah sich ein letztes Mal in der engen Kabine um, damit sie sicher sein konnte, nichts vergessen zu haben.
»Miss Sparhawk, Madam.« Sie sah zur Tür und entdeckte Will Carr. Seine gestrickte Mütze hielt er in der Hand. »Ich komme wegen Ihrer Sachen, Madam. Befehl vom Käpt’n, Madam.«
»Danke, Will.« Sie lächelte und trat beiseite, um ihn vorbeizulassen. Dabei merkte sie, wie befangen er war. Er wich ihrem Blick aus, und sie dachte mit Bedauern daran, wie fröhlich er gewesen war, als er sich ihr vorgestellt hatte. »Bitte, richte deiner Mutter und deiner Tante meine besten Wünsche aus, wenn du sie das nächste Mal siehst, Will, und sag ihnen, ich werde mein möglichstes tun, damit dein Cousin Jacob bald nach Hause zurückkehren kann.«
Der Junge hatte jetzt ihren kleineren Koffer auf die Schultern geladen und erstarrte in der Bewegung. Sein Gesicht mit den Pickeln wurde
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