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Große Liebe Desiree

Titel: Große Liebe Desiree Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirinda Jarett
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recht. Jack war bei ihr gewesen. Erinnerungsfetzen kehrten zurück, und sie sah Jack neben sich auf dem
    Bett liegen, er hielt sie fest, strich ihr das Haar aus dem Gesicht und flüsterte ihren Namen immer und immer wieder wie eine Beschwörungsformel.
    Sie erinnerte sich an seine Flötenmusik, kleine Melodien, die durch ihre Träume zogen, und sie erinnerte sich, daß er sie geweckt hatte. Regentropfen hatten wie Diamanten auf seinen Schultern geglänzt. Sie erinnerte sich daran, auf der Weybosset Bridge gewesen zu sein, und daran, o Gott, daß Obadiah tot war.
    Er hatte nach ihr geschickt, und sie war nicht rechtzeitig gekommen. Er hatte sich darauf verlassen, daß sie ihn retten würde, aber er war vorher gestorben. Allein und unter Schmerzen gestorben, weit weg von seinen Freunden und seiner Familie und jedem anderen, der sein Leid hätte erträglicher machen können. Am Ende hatte auch der Glücksshilling nichts mehr genützt.
    Obadiah war fort, ihr kleiner Bruder, den sie so zärtlich geliebt hatte. Ihre Mutter und ihr Vater, ihr Großvater und jetzt auch ihr Bruder. Warum weinte sie nicht? Nahm das Laudanum auch die Tränen fort? Warum fühlte sie keinen Schmerz, keinen Kummer, nur eine große Leere tief in ihrem Innern?
    Sie öffnete die Augen und betrachtete den Baldachin. Der blaue Satin war in der Mitte zu einem Knoten zusammengefaßt, und sie fragte sich, wie der Polsterer es geschafft hatte, den Stoff so elegant über den Rahmen zu drapieren. Satin ließ sich schlecht verarbeiten, man sah die Nadelstiche, wenn man nicht aufpaßte.
    »Es tut mir so leid für dich«, sagte Minnie, und an ihren rotgeränderten Augen erkannte Désirée, daß sie geweint hatte. »So furchtbar leid. Der ganze lange Weg, und alles umsonst - oh, du mußt dich entsetzlich fühlen!«
    Aber sie fühlte nichts. Gar nichts. Désirée nahm Minnies Hand und hoffte, daß sich etwas von deren Gefühlen auf sie übertrug. »Ich danke dir, Minnie. Für alles.«
    »Ach, Liebes, das war doch nichts.« Die Countess zog ein spitzenbesetztes Taschentuch aus ihrem Ärmel und betupfte sich die Augenwinkel. »Was sind meine Sorgen verglichen mit deinen? Jack war die meiste Zeit bei dir. Ich weiß, daß dein Bruder sein Freund war, und natürlich empfindet der arme Mann den Verlust, obwohl Männer anders sind. Er verbirgt seinen Kummer.«
    Und was, überlegte Désirée, ist mit Frauen, die dasselbe tun? Nicht einmal Jack würde das verstehen, und er hatte Obadiah wie einen Freund geliebt. Warum fühlte sie sich so distanziert, als ob das alles nicht mehr als ein tragischer Roman wäre? Sie sah an Minnie vorbei zum Fenster. Obwohl beide Vorhänge zugezogen waren, fiel ein schmaler Lichtstreifen ins Zimmer. Sie hatte vier Tage verloren, indem sie in diesem Bett gelegen hatte, und es wurde höchste Zeit, daß sie es verließ.
    »Was um alles in der Welt tust du da?« rief Minnie, als Désirée sich aufrichtete und die Decken zurückschlug. »Du mußt ruhen, bis du wieder du selbst bist!«
    »Und wenn ich noch länger ruhe, weiß ich nicht mehr, wer das ist.« Désirée schwenkte die Beine über den Bettrand, und die Zofe eilte mit einem Morgenmantel herbei. Doch Désirée schüttelte den Kopf. »Bringen Sie mir das blaue Wollkleid, bitte. Ich werde mich anziehen und einen Spaziergang machen.«
    Dreißig Minuten später saß Désirée allein auf einer Bank aus Teakholz in Minnies Garten und atmete in tiefen Zügen die frische Frühlingsluft ein. Der von einer Mauer umgebene Garten hinter dem Haus war ein Kompromiß - als Désirée verkündete, sie wolle am Wasser entlanggehen, versuchte die entsetzte Minnie, sie dazu zu bringen, im Haus zu bleiben. Aber jetzt mußte Désirée sich eingestehen, daß es so vermutlich am besten war. Sie fühlte sich noch matt von der Medizin und kraftlos, weil sie nichts Gehaltvolleres als Brühe zu sich genommen hatte, aber sie fühlte sich schon dadurch besser, daß sie angezogen und auf den Beinen war.
    Doch die dumpfe Leere in ihrem Innern wollte nicht weichen. Sie hatte die Hände in den Schoß gelegt und versuchte, sich an all das zu erinnern, was an Obadiah so liebenswert gewesen war. Sie dachte an ihn als Kind und als
    Mann, als ihren Bruder, ihren Freund und den Kapitän der Swan. Sie dachte daran, wie leicht er sie zum Lachen hatte bringen können und wie er sie manchmal geneckt hatte, bis sie in Tränen ausbrach. Er war derjenige in der Familie, der ihr immer am nächsten gestanden hatte, und sie hatte ihn auf

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