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Große Tiere: Roman (German Edition)

Große Tiere: Roman (German Edition)

Titel: Große Tiere: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hiaasen
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wegführten. Er wollte ihr folgen und sie fragen, was zum Teufel hier im Gange war, aber sie wurde schnell auf den Rücksitz eines Streifenwagens gepackt, der in Richtung Key Largo davonraste. Während Jake Harp seine Rede fortsetzte, stand Winder auf und ging an der Bühne vorbei zum Meer. Nach wenigen Minuten kam er zu dem vertrauten Uferstreifen, wo er gewöhnlich nach Meeräschen Ausschau hielt, doch das Wasser war zu milchig, um mehr zu erkennen als seine eigenen Füße. Während er durch das flache Wasser watete, konnte er hören, wie die High-School-Band die ersten Takte von »The Star Spangled Banner« anstimmte und den Höhepunkt der Grundsteinlegungszeremonie ankündigte.
    Als seine Füße sich über Steine und Seegras schoben, begann Winder seine Fliege hin und her zu schwingen, wobei er die Schnur auslaufen ließ, während er weiterging. Das Wasser war trübe, aufgewühlt, schmutzig. Hier würde er keinen Fisch finden, das wußte Winder, aber dennoch ließ er die Schnur mit ihren vollen fünfundzwanzig Metern Länge gegen den Wind fliegen und beobachtete das leise Glucksen der Fliege, wenn sie auf dem Wasser landete.
    Er angelte mit hektischen Bewegungen, denn er wußte, daß die Zeit knapp wurde. Nicht mehr lange, und diese schöne kleine Bucht wäre nur noch eine tote Ruine, und die Fische, die es zu fangen lohnte, wären verschwunden, verscheucht von Jet-Skis, Segelschiffen, Motorbooten und dichten Wolken stinkender Abwässer, die aus abgesenkten Abflußrohren aufstiegen.
    Willkommen in Falcon Trace.
    Joe Winder stand im seichten Wasser und überlegte, was er als nächstes tun sollte. Hinter ihm, auf dem für das sechzehnte Loch vorgesehenen Gelände, spielte die Band weiter. Nach einer Weile verstummte die Musik, und man konnte Stimmen hören, Handelskammerstimmen im Tonfall alter Freunde, die in der Nachmittagsbrise verhallten. Nicht lange danach erklang der Lärm von startenden Luxuskarossen.
    Schließlich wurde es wieder still, und Joe Winder blieb im Wasser stehen, bis die Sonne unterging.
    Am Abend fuhr er hinaus zur Card-Sound-Brücke und parkte dort. Er holte eine Taschenlampe aus dem Kofferraum und begann, an der Straße entlangzugehen, wobei er sich dicht an den Bäumen hielt und den Lichtstrahl über den Boden wandern ließ. Schon bald fand er die Stelle, wo er von den beiden Gorillas, Angel und Mr. Spearmint, zusammengeschlagen worden war. Dort verlangsamte Joe Winder seine Schritte und zwang sich dazu, sich zu konzentrieren.
    Er wußte, wonach er suchte: nach einem Weg, einem Pfad.
    Er hatte den größten Teil seiner Kindheit draußen verbracht, hatte Pfade zu Geheimverstecken in den Wäldern angelegt, zu Sümpfen und Lichtungen. Schon in jungen Jahren war er ein Spezialist für das Leben im Wald geworden, ein Meister, wenn es darum ging, undurchdringliche Stellen zu überwinden, wo sonst niemand sich hinwagte. Jedesmal, wenn sein Vater ein neues Grundstück erwarb, machte Joe Winder sich auf den Weg, jeden Quadratmeter zu erforschen. Wenn er eine hohe Kiefer fand, dann erklomm er sie; wenn es dort einen See oder einen Bach gab, dann angelte er. Wenn dort ein Luchs lebte, dann stöberte er ihn auf; eine Schlange fing er.
    Er genoß diese einsamen Abenteuer aus vollen Zügen bis zu dem unausweichlichen Tag, wenn die schweren Maschinen erschienen und die Männer in den Schutzhelmen ihm befahlen, zu verschwinden, ohne zu ahnen, daß er der Sohn des Chefs war.
    An diesen Abenden lag er zu Hause im Bett und wartete darauf, daß seine Mutter hereinkam und ihn tröstete. Oft schlug sie ihm einen neuen Ort für seine Expeditionen vor, eine moosbewachsene Parzelle an der Old Cutler Road oder zwanzig Morgen in den Gables, direkt an der Bucht. Land, das die Firma seines Vaters gekauft hatte oder kaufte oder zu kaufen beabsichtigte.
    Rauh, wirr, still, nach Getier riechend, vom Summen der Insekten erfüllt, voll funkelnder Spinnennetze, pulsierend, raschelnd und zum Untergang verurteilt. Und stets war der Eingang zu diesen geheimnisvollen Orten ein Pfad.
    Etwas, das Winder an diesem Abend brauchte.
    Schon bald fand er ihn: einen alten Wildwechsel, plattgetreten von Waschbären und Opossums, aber kürzlich erst verbreitert von etwas viel Größerem. Während Winder in den Wald eindrang, fühlte er sich wieder zehn Jahre alt. Er folgte der Spur stetig, aber nicht zu schnell, obgleich sein Herz bis in seine Ohren dröhnte. Er versuchte, sich leise zu bewegen, indem er sich unter tiefhängenden Ästen

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