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Großer-Tiger und Christian

Großer-Tiger und Christian

Titel: Großer-Tiger und Christian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frritz Mühlenweg
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das Brunnenloch nicht zudecken. Das Wasser liefe immer etwas über, und man
     könne es ohne Bedenken trinken. »Doch vorher wollen wir essen«, sagte Ohnezehen, »wir haben den Tagesmarsch einer Karawane
     gemacht, und wir haben das Doppelte vor uns.«
    Da aßen Christian und Großer-Tiger von allem, was es gab, und der Duft der lang entbehrten Weizenbrote dünkte sie weit herrlicher
     als der wilde Geruch des roten Fleischs, das Ohnezehen mit einem scharfen Messer in Scheiben schnitt.
    »Es ist Antilopenfleisch«, sagte Ohnezehen, und er gab das Messer an Christian und Großer-Tiger weiter, die versprochen hatten
     aufzupassen, sobald der Alte ein Messer zur Hand nähme. Aber daran dachten sie nicht mehr.
    Eine halbe Stunde ging vorüber, und die Nacht zog mit allen Sternen herauf. Da waren Großer-Tiger und Christian satt und ein
     wenig ausgeruht, und der Pudel war auch nicht mehr hungrig, denn Ohnezehen hatte ihm ein großes Stück Fleisch aus seinem Schnappsack
     zugeteilt. Sie machten sich reisefertig. Ohnezehen befreite sein Pferd von der Fußfessel, und dann griff jeder nach dem Zügel
     und nach dem Pferd, das er ritt. Großer-Tiger musste den weißen Fellmantel umschlagen und festhalten, damit er nicht am Boden
     schleifte. So gingen sie zu dem Brunnen, der eigentlich nur ein rundes Loch im Boden war. Er war bis an den Rand mit Wasser
     gefüllt, die Sterne spiegelten sich darin, und ein klein wenig floss er über. Aber eine Bewegung sah man nicht.
    »Zuerst kommen die Menschen«, sagte Ohnezehen und schubste den Pudel beiseite.
    Während Großer-Tiger und Christian die Essschalen füllten, hielt Ohnezehen die Pferde. Das Wasser war sehr kalt. Man konnte
     es nur langsam trinken, und die Pferde prusteten, als Ohnezehen sie freiließ.
    »Lass sie nur machen«, sagte er zu Christian, »es sind mongolische Pferde der höchsten Art. Sie wissen selbst, was ihnen gut
     tut und was schlecht für sie ist. Es sind Kerulen-Pferde. Siehst du, wie wenig sie trinken und wie vorsichtig. Diese Pferde
     sind keine gewöhnlichen Rösser. Du wirst sie kennenlernen.«
    Ohnezehen nahm sein Messinghorn und blies leise hinein. Da hoben die Pferde die Köpfe, verließen augenblicklich den Brunnen
     und wandten sich Ohnezehen zu. Er griff in die Tasche und gab jedem einen Honigbrotwürfel oder zwei. Dann wurde aufgesessen.
    »Schlaft nicht ein«, warnte Ohnezehen, »wir werden sieben Stunden im Sattel sein.«
    »Armes Stück Hund«, sagte Christian.
    »Er wird es aushalten«, versicherte Ohnezehen, »die Pferde müssen jetzt langsamer gehen, weil es dunkel ist.«
    Anfangs war nichts davon zu merken. Die Pferde trabten dahin wie am hellen Tag, aber als die Hochfläche zu Ende ging und der
     Pfad der Nachdenklichkeit durch Sandhügel und steinige Täler führte, wurde der Trab langsamer, und manchmal fielen die Pferde
     in Schritt. Ohnezehen ließ ihnen alle Freiheit. Er trieb sie nicht an, und er zog nicht am Zügel. Man hörte das leise Klingeln
     des Zaumzeugs, wenn sie trabten, und man spürte die federnden Tritte, wenn sie gingen. Die Nacht war schwarz, und man sah
     nicht, wo sie aufhörte. Man ahnte zwar, wo die Erde begann, weil es da keine Sterne gab, weder die mächtig blitzenden noch
     die kleinen, die bloß blinkten und weit weg waren. Es musste ein Dunst in der Luft liegen. Später, als schon ein paar Stunden
     im Trab und im Schritt vergangen waren, wurde es anders. Keiner hatte es bemerkt, doch plötzlich war es so, dass scharfe Konturen
     Himmel und Erde schieden. Da war die schweigende Wüste unten, und der Himmelwar darüber, und alles wurde klar und feierlich. Christian und Großer-Tiger, die einige Male nah daran waren einzuschlafen,
     wurden hellwach. Mitternacht musste längst vergangen sein, und der Pudel hielt wacker Schritt.
    Es war so, wie Ohnezehen gesagt hatte. Auch von den Pferden hatte er nicht zu viel Rühmens gemacht. Wenn Christian oder Großer-Tiger
     der Schlaf überkam und wenn der Schenkeldruck nachließ, hörten die Pferde sofort auf zu traben, und sie blieben stehen, sobald
     der Reiter im Sattel schwankend wurde. Dann drehte sich Ohnezehen um und rief gutmütig: »Oho! mein Söhnchen.« Christian und
     Großer-Tiger schämten sich, aber weil es jedem passierte, war es weiter nicht schlimm.
    Einmal kamen sie durch eine steinige Schlucht, und im Grund standen drei Bäume beieinander. Ein Brunnen, dachte Christian,
     aber Ohnezehen ritt vorüber, und die Pferde fingen an schneller zu traben. Die

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