Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Großer-Tiger und Christian

Großer-Tiger und Christian

Titel: Großer-Tiger und Christian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frritz Mühlenweg
Vom Netzwerk:
mit der Hand über die Stirn.
    »Ich besaß ein Gasthaus in Anshi«, begann er, »und ich hatte eine Frau und zwei Söhne. Den ganzen Tag stand ich in der Küche,
     denn ich war ein guter Koch, und viele Leute kamen in mein Haus. Mein Wohlstand mehrte sich, und ich war glücklich bis vor
     sieben Jahren. Da kam das Unglück und riss von einem Tag zum andern nieder, was schön und zufrieden war. Das Unglück hatte
     die Gestalt eines Mannes in einem verstaubten Reisemantel. Ein schwarzer Bart hing ihm über die Mundwinkel, und seine Augen
     blickten herrisch. Als er in die Gaststube trat, merkte ich gleich, dass ihm einiges nicht passte. Viele Leute saßen da, aßen
     und tranken. Er aber geht großartig an den Mitteltisch und sagt: ›Platz da! Ich will essen‹, sagt er und schiebt den Becher
     eines Mongolen beiseite. Der Mongole nimmt seinen Becher und setzt sich in eine dunkle Ecke. Nun gut, das kommt vor. Der Mongole
     ist ein Barbarchen, und er ist ein vornehmer Herr.
    Also brachte ich ihm, was er haben wollte: Bambussprossen und Föhrenblüteneier, Steinhuhn und Schweinsrücken, und während
     er isst, beobachtet ihn der Mongole, und seine Augen hängen ihm heraus vor lauter Gier. Es war aber keine Gier, es war etwas
     anderes. Der vornehme Herr isst und merkt nichts. Nach einer Weile steht er auf und kommt zu mir in die Küche. ›Sind wir allein?‹
     fragt er mich, und ich sage: ›Wir sind allein, was wollt Ihr von mir?‹ ›Ich höre‹, sagt er und tut sehr fein, ›dass Euer Ältester
     heiraten wird. Ich hätte da ein Brautgeschenk, einen Gelegenheitskauf, ein Wunder von einem Haarschmuck.‹ ›Lasst sehen‹, sagte
     ich, und ich legte mein Messer auf die Fleischbank.
    Der Herr greift in seinen Mantel und langt ein Päckchen heraus. Er wickelt es aus und legt zwei goldene Haarspangen auf den
     Tisch, wie ich noch keine sah. ›Man kann sie umarbeiten‹, sagt der vornehme Herr obenhin, ›es ist mongolische Arbeit, und
     vielleicht ist sie nicht nach deinem Geschmack. Aber es ist reines Gold. Zweitausend Silberbatzen denke ich.‹ Wie er das sagt,öffnet sich hinter ihm die Türe, und der Mongole tritt ein. Er sieht den Schmuck auf dem Tisch, und er wird bleich. Der vornehme
     Herr dreht sich unwillig um. Die beiden blicken sich an, und das Gesicht des Mongolen verzerrt sich. ›Jetzt kenne ich dich‹,
     knirscht er und will sich auf ihn stürzen. Da reißt der vornehme Herr das Messer von der Fleischbank und stößt zu; er reißt
     den Schmuck an sich und rennt zur Tür hinaus. ›Mord!‹ schreit er, ›es ist ein Mord geschehen! Packt ihn! Lasst ihn nicht los!
     Ich hole die Polizei!‹ Und fort ist er.
    Nach einer Weile kommt er wieder mit dem Ortsvorsteher und mit einem Haufen Soldaten. Der Ortsvorsteher hört mich an, und
     weil er mich kennt, sagt er: ›Lass gut sein.‹ Sie ergreifen den Fremden, aber da hatte er kein Gold mehr bei sich und nichts
     als ein paar Silberbatzen, gerade genug, um die Zeche zu bezahlen.
    Weil das so war, musste ich nach Sutschou zum Oberrichter. Kaum war ich dort, da verschwand der vornehme Herr. Auf dem Richtertisch
     aber lag eine dicke Klageschrift, und als der Oberrichter sie öffnete, las er: ›Verbindung mit Räuberbanden, Mord zum Zweck
     der Beseitigung eines Zeugen seiner dunklen Geschäfte.‹ Sofort schloss der Oberrichter die öffentliche Sitzung und ordnete
     eine Geheimverhandlung an. Meine Freunde und der Ortsvorsteher mussten gehen. Da war ich allein, und ich musste froh sein,
     den Kopf nicht zu verlieren.
    In der Klageschrift stand, dass der ermordete Mongole ein Mitglied der Gesellschaft des Uralten-Herrn war.
    ›Ausstreichen‹, sagte der Oberrichter höhnisch, ›den Mord rächt Dampignak selbst. Weiter‹, befahl er, und sein Schreiber las:
     ›Unbeschadet des Mordes muss das Verbrechen der geheimen Verbindung mit einer Bande von Dieben und Mördern gesühnt werden.‹
    Also schnitt man mir die Zehen ab, und als ich nach ein paar Wochen nach Hause kam, war mein Gasthaus niedergebrannt. Meine
     Frau und beide Söhne lagen erschlagen. Meine Freunde kannten mich nicht mehr, und der Ortsvorsteher verschloss mir die Tür
     des Yamen. Wer Schulden bei mir hatte, brachte unaufgefordert das Geld, und ich verließ Anshi als ein Ausgestoßener.Ich ritt auf einem Esel zum Tor hinaus, denn ich wollte nach Sinkiang.
    Die Stadt war kaum außer Sicht, da kam ein Mongole auf mich zu. Weil aber Reisende unterwegs waren, nahm er die Hand vom Dolch
     und

Weitere Kostenlose Bücher