Großer-Tiger und Christian
Lügenbeutel!«, geschrien und: »Mir braucht ihr keine Laus mit Sattel zeigen und sagen, sie
sei ein Pferd«; aber das wäre gegen seinen Plan gewesen. »Hoppla!«, rief er darum scherzhaft, »lasst die Schalen nicht fallen,
es wäre ein nicht wieder gutzumachendes Elend. Was für einen prächtigen Ring du hast, Großer-Tiger!«
»Ich habe ihn auch schon bemerkt«, sagte Glück, »du trägst ihn noch nicht lange.«
»Ich trage ihn erst seit heute«, sagte Großer-Tiger nachlässig.
»Hat ihn dir am Ende auch wer geschenkt?«, wollte Grünmantel wissen.
»Diesen Ring hat mir niemand geschenkt.«
»Aber woher hast du ihn denn, mein Söhnchen?«
»Ich habe ihn eben«, sagte Großer-Tiger gedehnt. Eigentlich wollte er nichts weiter sagen, doch weil alle schwiegen und neugierig
auf den seltsamen Ring blickten, war ihm so, als ob es Zeit wäre, eine Lüge loszulassen.
»Mein Großvater«, begann er tapfer, »gab mir diesen Ring, damit mein glänzender Name eine Minderung erführe.«
»Ein ausgezeichneter Mann, dein Großvater!«, lobte Grünmantel.
»Er sagte«, fuhr Großer-Tiger fort, »Minderung, verbunden mit hoher Wahrhaftigkeit, wirke erhabenes Heil.«
»Bravo!«, rief Grünmantel, »dein ehrwürdiger Großvater ist ein Gelehrter ersten Ranges.«
»Warum trägst du den Ring erst seit heute?«, fragte Glück.
»Das kommt«, erklärte Großer-Tiger, »weil ich ihn nur trage, wenn der Mond im ersten Viertel steht, oder wenn er es überschritten
hat. Manchmal trage ich ihn auch bei abnehmendem Mond, oder wenn er rund ist wie ein Silberbatzen, und das Ganze ist ein schwieriges
Geheimnis.«
»Ich kenne das«, rief Grünmantel, »du hast einen Glücksring!«
»Davon spreche ich nicht«, sagte Großer-Tiger bescheiden.
»Das Söhnchen hat recht«, meinte Grünmantel, »man muss vorsichtig sein.«
»Man soll«, meinte Christian ablenkend, »in die geheime Werkstatt der Natur nicht eindringen. Es gibt Glücksringe, von denen
keiner was versteht; aber es gibt auch Zauberworte, die man nicht kennt, und unterwegs habe ich eines gehört.«
Sonst hätte Grünmantel höchstens grämliche Mundwinkel gemacht und »Unsinn« geknurrt, aber das ließ er jetzt bleiben.
»Wie heißt das Zauberwort?«, fragte er gespannt, wie wenn ihm nichts Besseres passieren könnte, als es geschwind zu erfahren.
»Es heißt ›Jabonah‹«, sagte Christian.
Bis dahin hatte der Hausvater Sertschi geschwiegen, denn er verstand von der Unterhaltung seiner Gäste kaum ein Wort, weil
er nicht Chinesisch konnte. Jetzt wurde er munter, schlug sich begeistert auf die Schenkel und rief: »Jabonah!« Dann fragte
er Glück mancherlei, und auch Odburrung mischte sich ein und sprach längere Zeit.
»Du kannst dein Heft aus der Tasche langen«, sagte Glück, »und ›Jabonah‹ hineinschreiben. Jabonah heißt eigentlich nur ›gehen‹,
natürlich nicht zu Fuß, weil in der Mongolei niemand zu Fuß geht, solange er reiten kann. Es heißt auch ›aufbrechen‹, oder:
›Jetzt geht die Reise los‹; und weil nichts schöner ist, als eine Reise tun, freut sich jedermann, wenn ›Jabonah‹ gerufen
wird.«
»Wir haben einen Mongolen gesehen«, berichtete Großer-Tiger, »der hatte sechs Pferde am Zügel, und er sagte das Wort.«
»Von diesem Stück Mensch«, erklärte Glück, »sprachen wir, und Odburrung meint, der Sunit-Wang reite fort, denn des Königs
Pferd war unter den sechsen.«
»Vielleicht«, sagte Christian, »reitet er schon während der Nacht auf die Jagd.«
»Es muss anders sein«, meinte Glück, »die Jagd beginnt erst beim Morgengrauen.«
Darüber entspann sich ein langes Hin und Her. Keiner konnte sich erklären, warum der Sunit-Wang mitten in der Nacht aufbrach.Manchmal sprach Glück mongolisch, und manchmal sprach er chinesisch; und wer nicht verstand, was gerade gesprochen wurde,
musste warten, bis Glück es ihm erklärte. Sertschi erzählte, er sei zu der Jagd aufgerufen und sie beginne eine Stunde vor
Sonnenaufgang, wenn es noch dunkel sei. Dann werde man den Wolf in einem weiten Gebiet einkreisen, und das Kloster Orte-Golen-Sum
liege etwa in der Mitte. Am Nachmittag werde am Gelben Hügelriss gejagt und am Abend wieder woanders. Das täten sie, um die
vielen Wölfe zu töten, die im Winter aus dem Norden gekommen wären.
Nachdem Glück die zwei Worte Sertschis übersetzt hatte, war das Feuer heruntergebrannt, und Sertschi zog an einem Strick.
Da fiel eine Filzklappe über die runde
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