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Großer-Tiger und Christian

Großer-Tiger und Christian

Titel: Großer-Tiger und Christian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frritz Mühlenweg
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Dingen Bedeutung und Botschaft, und dann haftet
     sie an ihnen. Habt ihr noch Zeit, zwei Worte zu hören?«
    »Es gibt nichts, das eilig wäre«, versicherte Christian.
    »Die Erfahrung der Alten zu hören ist fördernd«, sagte Großer-Tiger.
    »Vor zwanzig Jahren«, begann der alte Vetter mühsam, »reiste ich zum Fest der Sieben Staaten nach Urga. Dort traf ich Jolleros-Lama,
     den Abt des Klosters Belin-Sum. Wir waren schon immer Freunde, und wir hatten gute Tage miteinander. Als wir Abschied nahmen,
     bat ich ihn um ein Wiedersehen. ›Nur vier Tagereisen nach Südwesten trennen dich von mir‹, antwortete Jolleros-Lama, ›warum
     fragst du da?‹ Ich entschuldigte mich mit dringenden Geschäften, die mich nach Peking riefen. Er lächelte und sprach: ›Die
     geringen Entfernungen sind die größten Hindernisse für Freunde, die beisammen sein möchten. Sollten wir darüber alt werden,
     so will ich dir ein Zeichengeben. Sieh diesen Ring!‹ Er hob die Hand, und ich erblickte den Ring, den du, Großer-Tiger, jetzt am Daumen trägst. ›Der
     Ring gehört mir nicht‹, sagte Jolleros-Lama, eines Tages muss ich ihn zurückgeben. Bevor er aber seinen Herrn findet, wirst
     du ihn sehen, und dann sollst du wissen, dass ich dich rufe, weil ich nachher in wenigen Tagen die Welt verlasse. Wir werden
     uns also sehen und sprechen, ehe es zu spät ist.‹«
    Der alte Vetter schwieg und wischte sich mit dem Ärmel des Gewands die Tränen aus den Augen; doch sie kamen immer wieder.
     Der Sunit-König gab Großer-Tiger den Ring zurück. Dann legte er seine Hände tröstend auf die Knie des alten Vetters und sagte:
     »Wir reiten in einer Stunde. Ich werde den Herzog von Hanta bitten, dass er die Jagd leite. Er ist zwar unser Gast, aber er
     wird es mir zuliebe tun. In zwei Tagen und zwei Nächten werden wir in Belin-Sum bei Jolleros-Lama sein.«
    Der alte Vetter nickte, und Großer-Tiger und Christian standen auf, um sich zu verabschieden.
    »Ich muss euch beide«, sprach der alte Vetter, »um weitherzige Verzeihung bitten. Ich war unfreundlich zu euch. Du, Großer-Tiger,
     bist der Bote des heiligen Mannes Jolleros-Lama. Nimm diese Schale zur Erinnerung an deinen älteren Freund, den Herzog der
     Sunit.«
    Während er das sagte, zog er einen Streifen himmelblauer Seide aus dem Gürtel, breitete ihn über beide Handflächen, legte
     die Silberschale, aus der er den Tee getrunken hatte, darauf und bot sie Großer-Tiger mit geneigtem Haupt zum Geschenk.
    »Du musst sie nehmen«, flüsterte der Sunit-Wang, und Großer-Tiger nahm sie und murmelte: »Zehntausendfachen Dank.«
    »Der Haddak gehört dazu«, flüsterte der Sunit-Wang, und Großer-Tiger nahm auch den Streifen blauer Seide aus den Händen des
     alten Vetters.
    »Kompass-Berg«, sprach der Sunit-Wang, »ich sehe, auch du hast keine Schale zum Essen und Trinken. Wir Mongolen tragen sie
     stets im Gürtel bei uns, damit wir in jedem Zelt bewirtet werden können. Nimm meine Schale zum Andenken und zum Gebrauch.«
    Er reichte sie Christian, wie der alte Vetter es getan hatte, mit einem blauen Seidenstreifen.
    »Ene ju beino?«, fragte Christian.
    Ein Lächeln flog über das Gesicht des Königs, und auch der alte Vetter lächelte wehmütig.
    »Der seidene Streifen«, erklärte der Sunit-Wang, »ist ein Haddak, und ohne ihn darf kein Mongole ein Geschenk geben oder nehmen.
     Die Schale heißt ›Aich‹; mögest du lange und gesund daraus trinken.«
    Da dankten Großer-Tiger und Christian mit einem Fußfall der Verehrung und wollten gehen. Aber der alte Vetter und der König
     waren schneller als sie; beide standen auf und waren schon vor dem Zelt, als Großer-Tiger und Christian heraustraten. Dann
     erst verabschiedeten sie sich mit Segenswünschen.

Zweiundzwanzigstes Kapitel, von dem Zauberwort Jabonah und von einer Wolfsjagd, bei der kein Schuss fällt
    Als der Sunit-Wang und sein alter Vetter wieder im Zelt waren, stopften Christian und Großer-Tiger die Silberschalen mitsamt
     den Haddaks in die Rocktaschen. Doch die Taschen waren zu klein, die Schalen waren ein wenig zu groß, und deshalb schaute
     der obere Rand heraus.
    Christian hob den Daschior auf; dann nahmen sie die Wasserkübel und machten sich auf den Heimweg. Es ging aber langsam, denn
     sie mussten die schweren Eimer oft absetzen. Auf halbem Weg kam ihnen Glück mit einem Mongolenjungen entgegen, der eine Schar
     Ziegen vor sich hertrieb.
    »Ihr kommt spät«, schalt Glück; »Grünmantel ist wütend, weil

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