Großmutters Schuhe
blitzenden Jagdaugen. Aber von mir hat sie absolute Ehrlichkeit verlangt. Ich weiß doch immer, wann du Heimlichkeiten hast, es lohnt sich nicht. Alex sei ja ein hübscher Kerl, durchaus anziehendauf eine etwas – ich müsse schon verzeihen – gewöhnliche Art, aber wenn einmal der erste Überschwang der Hormone verrauscht sei, würde ich erkennen, dass er einfach nicht zu uns passe. Zu uns, wohlgemerkt, nicht etwa zu mir. Was zu mir passte oder nicht passte, hatte nie eine Rolle gespielt bei ihr. Sie sei ja bei Gott nicht klassenbewusst, nichts liege ihr ferner, als jemanden wegen seiner Herkunft gering zu schätzen, und so weiter und so weiter. Natürlich habe so ein muskulöser Männerkörper einen gewissen Reiz für eine junge Frau. Da fuhr sie tatsächlich mit der Zunge über ihre faltigen Lippen, widerlich. Sie hat mich ja geradezu in seine Arme gestoßen mit ihrer Einmischung, wenn sie es nicht getan hätte, wäre wahrscheinlich alles anders gelaufen. Jedenfalls glaube ich nicht, dass ich ihn gleich geheiratet hätte. Muskulöser Männerkörper, da kann ich nur hohl lachen. Hohl, das wäre konkav, also bei ihm ist von konkav keine Rede mehr, konvex und schlabbrig ist er geworden. Schlaff wie seine Arbeitshaltung, aber natürlich ist nie er schuld, immer sind die anderen die Bösen, die sich gegen ihn verbünden. Sicher, manchmal hat er schlicht Pech gehabt. Aber ich habe das Gefühl, dass er sich ganz bequem eingerichtet hat im Bewusstsein, ein Loser zu sein. I’m a loser. Die Nummer hat er gespielt, bis ich sie nicht mehr hören konnte und die Platte in den Abfallkübel geworfen habe. Tagelang hat er sie gesucht und dabei ständig in seiner grauenhaft unmusikalischen und tonlosen Art gesummt. Zelebriert sich als Verlierer, während er immer wieder irgendeiner verrückten Idee nachrennt, total sicher, dass er diesmal den großen Erfolg landen wird. Und er findet jedes Mal einen Trottel, der mit ihm rennt. Wenn er so viel Kreativität in eine vernünftige Arbeit investiert hätte, wäre er ein gemachter Mann.
Wenigstens zu Omas Begräbnis hätte er kommen müssen.Sie hat ihm die Stange gehalten, egal was er wieder angestellt hatte. Vielleicht lag es auch an ihr, dass ich ihn nicht längst hinausgeworfen habe. Er macht einen wahnsinnig, dann steht er da mit schief gelegtem Kopf und schwört, dass es nie wieder vorkommen wird, und ich werde noch wütender, weil ich beinahe bereit bin, ihm zu glauben, gegen alle Vernunft.
Du hast Glück, höre ich immer wieder einmal. Mit einem Mann wie Alex wird dir nie langweilig. Was für mich jedes Mal den Beiklang hat, wie ein so schillernder Mensch wie er eine so mausgraue Frau wie mich haben kann. Es gibt Zeiten, da gäbe ich wer weiß was für ein bisschen gepflegte Langeweile. Verdammt noch einmal, ich muss ja verlässlich und ordentlich und berechenbar sein, sonst wären wir längst im Schuldturm gelandet. Auch wenn es den angeblich nicht mehr gibt. Natürlich ist Patricia immer auf seiner Seite, sie kann es sich leisten, weil es neben dem großartigen Vater auch die stinklangweilige Mutter gibt, die dafür sorgt, dass die Miete bezahlt wird und Strom und Telefon und der ganze Krempel, dass keine Delogierung droht. Zuverlässig und spießig. Manchmal denk ich, es wäre vielleicht gut für Alex, wenn ihm einmal keiner ein Kissen hinlegt, bevor er auf die Schnauze fällt. Vielleicht habe ich ihn zu sehr zu meinem Kind gemacht, das könnte sein. In mancher Hinsicht ist er mehr mein Kind als Patricia, die ist ja beängstigend stark und unabhängig. Kommt mir wenigstens so vor, aber es kann natürlich sein, dass ich mich auch da irre. Obwohl – schon als sie in die erste Klasse ging, hatte sie diese Selbstverständlichkeit, diese seltsame Sicherheit und Überlegenheit, die mich manchmal wahnsinnig gemacht hat, weil ich mich vor meiner eigenen Tochter so unbedeutend und klein fühlte. Wir hätten ihr vielleicht einen anderen Namen geben sollen,nicht gerade Patricia. Was für ein dummer Gedanke. Wahrscheinlich lag es auch an Großmama, die hat sie ja von Anfang an bestärkt in dem Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Einmal hätte sie mich so anschauen sollen, wie sie ihre Urenkelin angeschaut hat.
Lächerlich, ich bin nicht eifersüchtig auf meine eigene Tochter. Ich freue mich doch, dass Großmama so viel Freude hat an diesem Kind. So viel Freude hatte. Wie lange wird es dauern, bis ich an sie anders als in der Gegenwart denken kann?
Ach, Großmama. Womöglich würdest
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