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Großmutters Schuhe

Großmutters Schuhe

Titel: Großmutters Schuhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Welsh
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ganz genau, dass ihn die Familie nicht liebe, und deshalb müsse er ständig auf seine finanziellen Erfolge verweisen, der Arme, er habe ja sonst nichts. Wer ist jetzt herablassend? fragte ich. Sie schlug mich auf die Finger. Unmöglich bist du. Wie zärtlich das klang. Unmöglich bist du, das war der höchste Orden, den sie zu vergeben hatte. Sie und ich, wir waren unmöglich. Möglich war schließlich nicht dasselbe wie wirklich, möglich war potentiell, nicht real existierend. Un-möglich könnte daher im Gegensatz zum normalen Sprachgebrauch tatsächlich bedeuten, real und nicht nur virtuell. Egal, wir beide waren unmöglich. Manchmal fügte sie sogar hinzu: »Das hast du von mir. Begabungen überspringen oft eine Generation. Oder sogar zwei.« Kann sein, dass ich mir etwas vormache. Und doch glaube ich, dass sie sich mit mir mehr verwandt gefühlt hat als mit sonst jemandem aus der Familie. Mit Ausnahme von David. Wie sie den immer angeschaut hat. Er ist ja auch ein durchaus erfreulicher Anblick. Vermutlich wären wir Freunde, falls wir einander irgendwo außerhalb der Familiensümpfe über den Weg gelaufen wären. Sei nett zu F. T. Ich wehrte mich. »Der weiß doch gar nicht, wer ich bin. Auf der Straße würde er mich nicht erkennen, wetten?« – »Na und? Sei trotzdem nett zu ihm.« – »Untersteh dich, von irgendeinem Menschen zu verlangen, er oder sie soll nett zu mir sein«, sagte ich. Sie lachte, dann bat sie ungewohnt ernst: »Versprich mir’s. Er ist so entsetzlich einsam.« Was für ein Auftrag. Es war unser letzter Spaziergang, eine Woche später ist sie gestürzt. Ich habe zwar nur genickt, aber siehat es als Versprechen aufgefasst. Ich verstehe überhaupt nicht, was ihr an ihm lag. Er ist so einsam, hat sie gesagt. Ich glaube fast, sie hat es genossen, mit jemandem Mitleid zu haben. Verrückte Idee. Oder vielleicht doch nicht so verrückt. Untersteh dich, mich zu bedauern, hat sie sich einmal selbst unterbrochen, als sie über ihre schmerzenden Gelenke klagte. Hat Mitleid mit anderen sie davon abgelenkt, ihr Alter als Kränkung zu betrachten? Dittaoma, du nervst. Wie weit geht nett sein? Muss ich tatsächlich mit ihm reden? Ich wüsste nicht, worüber. Ehrlich nicht. Abgesehen von allem anderen glaube ich, dass ich so ziemlich die Letzte bin, auf deren Nettigkeit er Wert legen würde. Großvater sagte mehr als einmal, dass mit letzten Worten und letzten Wünschen sehr viel Schindluder getrieben wird. Es war ja auch nicht ihr letzter Wunsch, nur unser letzter Spaziergang, und das wussten wir beide nicht. Sonst wären wir wohl beide befangen gewesen, ich ganz sicher. Ganz schön bestimmend, meine liebe Urgroßmutter, aber auf ihre eigene Art, durchaus möglich, dass sie es selbst nicht gemerkt hat. Sie wollte nicht, dass man tut, was sie will, sie wollte, dass wir aus eigener Überzeugung wollten, was wir wollen sollten, ihrer Meinung nach. Ich glaube, sie war tatsächlich überzeugt davon, dass sie besser wusste als wir selbst, was wir wirklich wollten, was für uns gut war. Das willst du doch nicht wirklich, hat sie mehr als einmal zu mir gesagt. Bloßer Gehorsam wäre nie genug gewesen für sie. Ziemlich unfair, wenn man mich fragt. Aber mich fragt ja keiner. Wenn sie jetzt da wäre, sie hätte einiges zu sagen über diese Trauergesellschaft, dem Trottel, der mir so in den Ausschnitt glotzt, würde sie mit hinreißendem Lächeln eine Gemeinheit so gut verpackt servieren, dass sich der Angesprochene erst ein paar Stunden später ärgern würde, dafür aber gründlich. Mist. Das ist jaeben der F. T., den sie mir ans Herz legen wollte. Dummerweise fällt mir nicht ein, was ich dem Typen sagen könnte, das heißt, es fällt mir eine ganze Menge ein, aber nichts, das man bei einem Familientreffen sagen und trotzdem punkten könnte. Mama schaut schon wieder zur Tür, inzwischen ist es allen aufgefallen, und dabei legt sie doch so großen Wert darauf, dass alles seine Richtigkeit und niemand etwas zu lästern hat. Echt fies von meinem Vater, dieses eine Mal hätte er ihr die Freude machen können. Schließlich war es Uroma, die ihm geholfen hat, als er bis zu den Ohren in der Scheiße steckte. Ob er ihr je zurückgezahlt hat, was sie ihm damals geborgt hat? Würde mich wundern. Recht würde ihm geschehen, wenn ich ihn vor der ganzen Verwandtschaft danach frage. Vielleicht tu ich’s, falls er noch auftaucht. Schade, dass ich die Kamera nicht dabei habe, das wäre die Gelegenheit, um richtig schöne

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