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Großmutters Schuhe

Großmutters Schuhe

Titel: Großmutters Schuhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Welsh
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waren ja so was von hart, der Zug hat gerüttelt und mich auf und ab geworfen und in meinem Bauch hat der Andreas gestoßen, dass ich dachte, er kommt durch die Bauchdecke heraus, und mir wäre es alles eins gewesen. Als ich damals heimgekommen bin, Edith, die Straßenbahnen sind noch nicht regelmäßig gefahren und ich musste eine Dreiviertelstunde gehen vom Bahnhof, da hast du mir einen heißen Kakao gekocht, keine Ahnung, wo du den ergattert hattest, ganz dunklen heißen Kakao, der hat geduftet wie nie einer davor oder danach. Wir sind am Küchentisch gesessen, und du hast die Ellbogen aufgestützt und dein Häferl mit beiden Händen gehalten. Das nehme ich mit, auf das legen Stefanie und Friederike bestimmt keinen Wert, der Rand ist angeschlagen, als hätte jemand hineingebissen, und das Gold ist matt, wo es nichtganz abgeschrubbt ist. Du hast einmal gesagt, der Vergissmeinnichtstrauß erinnert dich an die Schöne Müllerin. Wenn wir allein waren, hast du immer nur daraus getrunken.
    Nein, zu Andreas zieh ich nicht. Das tu ich ihm nicht an. Quatsch. Das tu ich mir nicht an. Ich liebe ihn, natürlich liebe ich ihn, er ist mein Sohn.
    Manchmal glaube ich seinen Großvater zu hören, wenn er redet, wenn seine Sätze daherkommen in Reih und Glied, wie die Paragraphen, die ihm so wichtig sind wie die Zehn Gebote. Das halt ich ganz schlecht aus, da verkrieche ich mich. Unlängst hat er gesagt, ich soll doch mit dem Doktor sprechen wegen dieser Schlafattacken. Wenn er wüsste.
    Unlängst habe ich gehört, dass die Toten in Athen nur drei Jahre im Grab bleiben dürfen, weil so wenig Platz ist. Dann kommen die Überreste in so eine Art Mauerfach. Siehst du, Edith, da hast du’s doch wieder einmal gut getroffen, dabei hattest du gemeint, du würdest gern in Griechenland sterben wegen der Sonne. Hier hast du deine Ruhe im Grab, da wirft dich keiner raus.

Alban verlagerte sein Gewicht von einem Bein aufs andere, als seine Schuhsohlen dabei ein quietschendes Geräusch erzeugten, erschrak er und murmelte: »Pardon!«
    Bärbel warf Kartoffeln in einen Topf, Wasser spritzte auf, ein paar Tropfen zischten in einer Pfanne voll heißem Öl.
    »Ich beeile mich sowieso« , fauchte sie, ohne Alban anzusehen. »Zaubern kann ich nicht.«
    Er wollte sie beruhigen, er wolle sie nicht hetzen und es sei auch gar nicht notwendig, die Leute seien im Augenblick ohnehin ganz friedlich, dabei verhedderte er sich so sehr in seiner Erklärung, dass er nicht mehr aus dem Satz herausfand und sich schließlich mit dem Geschirrtuch die Stirn abwischte. Als er das bemerkte, gab er eine solche Karikatur eines begossenen Pudels ab, dass Bärbel lächelte, den Kochlöffel weglegte und ihm mit mehligen Fingern durch den Haarschopf fuhr.
    Endlich, dachte Lisa, packte Hankas Hand und zog sie mit sich ins Extrazimmer, wo sie bei der alten Dame beginnend, Lisa linksherum, Hanka rechtsherum, die Gläser nachfüllten.
    Bärbel drehte sich abrupt zum Herd, trotzdem nahm sie aus dem Augenwinkel Albans Kopfschütteln wahr. Natürlich missverstand sie es und war gekränkt, während er doch am liebsten den Mehlstaub gesammelt und in seine Brieftasche gesteckt hätte.

Anna, 48
    Alex ist tatsächlich nicht gekommen. Das tut er absichtlich, um mich bloßzustellen. Und natürlich sagt Mama kein Wort darüber, kein Mensch hat nach ihm gefragt, sie bilden sich bestimmt noch etwas ein auf ihre Diskretion, aber es ist schlimmer für mich, normal wäre doch zu fragen, was mit ihm los ist. So weisen sie mit Fingern darauf, dass dieser Mann ein Totalversager ist, dass man von ihm nicht einmal die primitivsten Höflichkeiten erwarten kann. Wie sie es alle vermeiden, mich auch nur mit einem Blick zu streifen, als hätte ich eine widerliche ansteckende Krankheit. Muss er mich so beschämen vor der ganzen Familie? Wenigstens dieses eine Mal hätte er Rücksicht nehmen können.
    Du musstest ihm ja immer die Stange halten, Oma, hattest eine Entschuldigung für jede seiner Eskapaden, während Mama traurig nickte. Sie hatte mich ja gewarnt, und hatte natürlich recht gehabt, immer hatte sie recht gehabt, klar, sie konnte gar nicht anders als recht haben, und warum musste ich mich ausgerechnet mit so einem einlassen.
    Wie sie sich damals vorbeugte, die Hände gefaltet, die Augen verschattet. »Kind!« Dieser Ton, den habe ich immer schon gehasst, und Kind hat sie mich nur genannt, wenn sie meinte, mir etwas besonders Unangenehmes sagen zu müssen. Höchst ungern, wie sie betonte, mit

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