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Großmutters Schuhe

Großmutters Schuhe

Titel: Großmutters Schuhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Welsh
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Budapest mehr Augenbrauen hochgehen ließ als heute eine Reise nach Kalkutta. Es war überhaupt viel leichter, die Familie zu schockieren, man musste sich dabei gar nicht anstrengen so wie ihr heute.« Einen Moment lang war ich schwer in Versuchung, ihr zu sagen, dass die Familie überhaupt keine Rolle spielt bei meinen Entscheidungen, dass es mich nicht einmal interessiert, was sie von mir halten, ob ihre Mundwinkel hinauf- oder hinunterwandern, ist mirdoch so was von egal. Nur bei ihr war es mir nie egal, nie. Vielleicht hätte ich ihr das sagen sollen. Vielleicht hat sie es sowieso gewusst. War es die Idee der Familie, die für sie so wichtig war? Ihre Bemerkungen über die einzelnen Mitglieder waren mindestens so bissig wie meine. Trotzdem hat sie an die Familie geglaubt, vielleicht als, was weiß ich, als Institution? Als Idee? Keine Ahnung. Ist auch nicht wichtig.
    Das Lusthaus im Prater. Sie hat mich eingeladen, mit ihr Kaffee trinken zu gehen, und natürlich wusste ich, dass der Kaffee ein Vorwand war, aber damit bestimmte sie Zeitpunkt und Ort einer Aussprache. Einmal erzählte sie mir voll Empörung, dass David auf eine Einladung zum Kaffee sagte, das wäre eine gefährliche Drohung. Hat er etwa nicht recht, fragte ich, du hast doch immer einen Hintergedanken. Da drohte sie, sie würde mich übers Knie legen, das hätte sie schon lange tun sollen, und schließlich lachten wir beide. Wir gingen durch die lange Hauptallee, sie nahm meinen Arm, bei jeder Unebenheit im Boden spürte ich einen Druck ihrer Hand, offenbar suchte sie doch Halt, obwohl sie immer noch mit weit ausholenden Schritten ging, bis zuletzt, ich kann mir nicht vorstellen, dass sie je getrippelt wäre wie andere in ihrem Alter. Vielleicht gab es niemanden in ihrem Alter, sie war eine Kategorie für sich. Immer wieder wies sie auf die roten und weißen Kerzen der Kastanienbäume, rümpfte die Nase über die knallbunten Hosen der Jogger und Radfahrer – Miederhöschen, sagte sie laut genug, dass es auch über dem Fahrtwind deutlich zu hören sein musste –, begrüßte jede Blume am Wegrand mit ihrem deutschen und ihrem lateinischen Namen. Ich wusste längst, dass es überhaupt keinen Sinn hatte zu fragen, warum sie mit mir reden wollte. Als sie im Lusthaus zwei Cappuccino bestellte, aber mit Milchschaum, Schlagobers gehört nicht auf einen Cappuccino,und zwei Topfengolatschen dazu, Blätterteig, nicht Germteig, konnte ich einen Moment lang verstehen, warum ihre Töchter sich mit ihr schwergetan hatten. Sie kam gar nicht auf die Idee, mich zu fragen, was ich wollte, nahm völlig selbstverständlich an, dass sie das Richtige wählen würde, es war reiner Zufall, dass es ohnehin passte. Sie zündete eine von ihren überlangen dünnen Zigaretten an und beugte sich vor auf diese spezielle Art, die jedes Entkommen unmöglich machte, dann fragte sie, wie es mir im Studium gehe, ein Ablenkungsmanöver, das mich natürlich misstrauisch machte. Ich antwortete einsilbig, sie strahlte mich an mit ihrem hintergründigen Lächeln. »Hübsch siehst du aus, die gelbe Bluse steht dir.« Deshalb habe ich sie heute angezogen, und natürlich finden sie alle völlig unpassend, viel zu gelb, viel zu sonnig, viel zu weit ausgeschnitten. Sollen sie nur, da haben sie wenigstens etwas Gemeinsames in ihrer Empörung. Dittaoma wusste, dass ich nur darauf wartete, endlich zu erfahren, warum sie mich zu sich bestellt hatte, aber so schnell gab sie nicht nach. Wenn ich es recht bedenke, genoss sie es, uns zu manipulieren, und war stolz darauf, dass es niemand merkte, wenigstens glaubte sie, dass es niemand merkte, gleichzeitig aber wollte sie Publikum, das ihr beim Manipulieren applaudierte, und wenn der oder die zu Manipulierende das einzige Publikum war, wurde es schwierig. Ich weiß nicht, wer von uns zuerst nachgab. Räuspern galt bereits als Nachgeben und wurde mit einem äußerst vornehmen Hüsteln quittiert. O ja, wir hatten unsere strengen Regeln, auch wenn ich mehrfach gehört habe, wie meine Großmutter und meine Mutter in seltener Einmütigkeit erklärten, Uroma sei eine alte Anarchistin. Diesmal ging es um ihren Schwiegersohn, meinen sehr verehrten Herrn Großonkel. Dass er sich mit seinen Initialen F. T. nennenlässt, sagt schon alles, was man über ihn wissen müsste. Was ich von ihm hielte, fragte Uroma. Ich zuckte mit den Schultern. Sie wackelte mit dem Zeigefinger vor meiner Nase. Hochmut stünde mir nicht und sei auch nicht angebracht. F. T. wisse doch

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