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Großmutters Schuhe

Großmutters Schuhe

Titel: Großmutters Schuhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Welsh
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Königin, aber du hast weiter eine lange Wackelnase gezeigt.
    In New Orleans spielen sie auf dem Heimweg von einem Begräbnis fröhliche Musik, habe ich gelesen. Früher war es jedenfalls so. In Schottland schon bei der Totenwache, hat mir eine alte Gemeindeschwester erzählt. Feiern sie, dass es den Menschen gegeben hat, oder feiern sie, dass nicht sie es sind, die mit über der Brust gefalteten Händen im Sarg liegen? Vielleicht gehören ja Feiern und Trauern zusammen. Vielleicht tun wir uns so schwer mit Feiern, weil wir uns das Trauern nicht erlauben. Auf wen nehmen wir Rücksicht,wenn wir Haltung bewahren? Und schlägt am Ende gerade diese Haltung jene Bresche in den Damm, durch die die Verzweiflung einströmt?
    Du konntest so schön lachen, Großmama. Weinen habe ich dich nie gesehen. Ich würde gern dein Lachen im Ohr behalten. Musikalisch war es nicht gerade.

Sophie, 93
    Ich lach mich tot. Wen immer sie da heute begraben und betrauern, Ditta ist es nicht. Eine ganz andere Frau ist das, fast könnte man jeden Augenblick erwarten, dass die Tür aufgeht und Ditta hereinkommt. Da würden sie schön staunen, alle miteinander. Ob sie sich freuen würden? Nicht alle, Ditta war unbequem, für sich und für andere.
    Ich seh mich noch hinter der Lehrerin in die Klasse gehen, in der dritten war das, natürlich starren mich alle an, ich sehe sofort, dass keine andere so klobige Schuhe anhat wie ich, und die Lehrerin setzt mich neben Ditta, die alles nur nicht begeistert ist über die neue Banknachbarin. Kein Wunder, mit mir war ja auch kein Staat zu machen. Auf den wenigen Fotos, die erhalten geblieben sind, schaue ich verstört, ja sogar irre in die Kamera. Dass meine Nägel abgebissen sind, sieht man nicht, aber das ganze Elend des Kindes, das sich ungewollt und ungeliebt fühlt, das umgibt mich wie eine zweite Haut. Ich finde das Kind, das ich war, genauso unsympathisch, wie es für die anderen war in seinem Selbstmitleid und seiner Weinerlichkeit, immer auf der Lauer. Ein schreckliches Kind, ängstlich, ständig beleidigt. Wenn ich etwas mit Psychologie im Sinn hätte, würde ich mir gratulieren dazu, was trotzdem aus mir geworden ist. Hat wohl auch mit Ditta zu tun, die war zwar sauer über diesen Jammerlappen von einem Schatten, aber sie hat mir doch auch geholfen, manchmal mit ihren schneidenden Bemerkungen, über die ich nächtelang geheult habe. Das hat mir offenbarauch gefallen auf eine ungesunde Art, ich erinnere mich, wie ich ins Badezimmer schlich und mir höchst interessiert und durchaus lustvoll in dem dreiteiligen Spiegel beim Weinen zusah. Nicht, dass ich die geschwollene Nase, die verquollenen roten Augen, die herabgezogenen Mundwinkel schön gefunden hätte, aber sie bewiesen, wie sehr ich litt, wie tief meine Gefühle waren. Gott, bin ich froh, dass ich keine Kinder bekommen habe. Eine Tochter wie mich hätte ich nicht ausgehalten, die hätte ich womöglich verprügelt, und dann wäre ich im Gefängnis gelandet wegen Kindesmisshandlung, wobei man eigentlich ziemlich viel Pech haben muss, bevor man gerade wegen dieses Verbrechens in Schwierigkeiten kommt. Eine Tochter wie Ditta hätte ich gern gehabt. So ein freches, lebhaftes Ding, das nicht erwartet, die anderen sollten sich seinetwegen die Köpfe zerbrechen, sondern selbst laut und deutlich sagt, was es will. Ditta mit dem Kopf voller Ideen, ständig auf dem Sprung, ständig verliebt, in einen Schauspieler, einen Sportler, einen Musiker, einen Dichter, in ein Buch, in ein großartiges Projekt, das sie mit ungeheurer Energie verfolgt, allerdings meist nur kurz. Ihre Lieben waren umso glücklicher, je unerreichbarer die Objekte ihrer Begierde waren. Was hat sie für Geschichten erzählt, und ich habe ihr jede einzelne geglaubt. Sie hat ja dann sehr jung geheiratet, und ich glaube, sie hat dem armen Friedrich nie wirklich verziehen, dass er nicht der war, den sie zu Beginn in ihm gesehen hatte. Wenn der Krieg nicht gekommen wäre, hätte sie ihn verlassen, da bin ich fast sicher, hätte ihre zwei kleinen Mädchen gepackt und irgendwo ein eigenes Leben begonnen, aber dem Vermissten musste sie die Treue halten, eine Treue, die immer mehr eindickte, immer bitterer wurde. Die Arbeit, in die sie sich stürzte, stürzen musste, schließlich hatte sie zwei Kinder durchzufüttern, diewar ihre Rettung, denke ich, obwohl sie sie auch auslaugte. Ohne Marie wäre sie verkauft und verraten gewesen, so hat auch diese Geschichte ihr Gutes gehabt. Damals haben wir

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