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Großmutters Schuhe

Großmutters Schuhe

Titel: Großmutters Schuhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Welsh
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wenn ich nicht irre. Die Dichtung als Schutz gegen das Vergessen und Vergessenwerden? Ich denke schon,dass das eine ihrer Aufgaben ist. Und der Lethe – wir sterben einfach nicht mehr rechtzeitig, da bringt uns eben Hermes oder wer immer ein Schlückchen Lethe hier, ein Schlückchen Lethe da, vielleicht schmuggeln sie es in die Antibiotika, in die ganzen Vitamin- und Potenz- und wer weiß was für Pillen, die uns angeblich das Alter versüßen. Wäre doch denkbar. Alzheimer als die Rache der Götter, weil wir uns anmaßen, ewig jung zu bleiben wie sie. Haut lässt sich liften und straffen, wenn man das Geld hat und die Schmerzen nicht scheut, das Hirn lässt sich nicht straffen und nicht aufmöbeln, glatt bügeln hilft sowieso nicht, der Knautscheffekt ist eine Voraussetzung für die Funktion, glaube ich. Einmal hast du mir erzählt, Stefanie hätte in langer mühevoller Arbeit eine gecrashte Bluse ihrer Enkelin faltenfrei gebügelt, hätte sich wohl gewundert, wieso die zarte Naomi eine Bluse groß wie ein Zelt hatte, und sei tödlich gekränkt gewesen, weil Naomi so undankbar war, ja geradezu ausfällig wurde und Stefanie dringend bat, die Hände von Dingen zu lassen, von denen sie nichts verstünde und nie etwas verstanden hätte. Mit allen Einzelheiten hast du geschildert, wie du gemeinsam mit Naomi die Bluse zu einem festen Tau gedreht und neu »gecrasht« hast. Wir haben gelacht, bis wir beide Schluckauf bekamen, später wurde mir klar, dass ziemlich viel Schadenfreude mit im Spiel war, wir im Bunde mit den ganz Jungen gegen die Generation, die uns zu den Alten, Überholten gerechnet hat.
Crash
, das ist doch eigentlich eines von den Wörtern, die ihre Bedeutung schon im Klang verraten, ein gefährliches Wort, und in diesem Fall domestiziert für den Gebrauch junger Mädchen. Wieso ist Naomi heute nicht da? Naomi mit den dunklen Augen und dem großen Mund. Zu unserer Zeit hätte man den Mund noch als Schönheitsfehler gewertet, kann man sich heute gar nichtmehr vorstellen. So klar gezeichnet.
A generous mouth
, hab ich irgendwo gelesen, das passt, nur in deutscher Übersetzung nicht. Großzügiger Mund klingt lange nicht so gut. Ich mag Theresa nicht fragen, wo Naomi bleibt, Mütter fühlen sich beinahe immer angegriffen, wenn man ihre Kinder kritisiert, auch wenn sie nur glauben, man hätte ihre Kinder kritisiert. Ich kann mein Heu Stroh nennen, aber ein anderer nicht. Wer hat das gesagt? Egal, auf jeden Fall passt es.
    Elvira hat die Augen geschlossen und schnarcht leise. Ditta würde das nicht stören, die arme Betreuerin windet sich vor Peinlichkeit. Elvira selbst ist nichts mehr peinlich, glaube ich, ein beneidenswerter Zustand. Bescheiden wie ich bin, muss ich nicht von allem haben. Die arthritisch gekrümmten Finger muss ich hinnehmen und den ewigen Schmerz im Kreuz, gegen die juckenden Ausschläge ist kein Kraut gewachsen, aber ich weigere mich zu akzeptieren, dass man nichts gegen die Verkalkung tun kann. Dieser Alzheimer kommt mir nicht ins Haus, vor allem nicht in den Kopf, irgendetwas wird man doch noch selbst entscheiden dürfen. Gut, ich verlege manches, nicht nur Geldbörse und Schlüsselbund und die Rechnung, die ich zahlen wollte – was heißt wollte, musste –, aber auch Namen. Ich weiß das Datum nicht immer, ist ja auch egal, was für einen Unterschied macht es schon für mich, ob der 7. ist oder der 8., die Tage sind verdammt gleichförmig geworden. Aber deswegen bin ich noch lange nicht dement. Der große Nachteil des Alleinlebens ist, dass man immer nur selbst dafür verantwortlich ist, wenn etwas verschwindet. Noch lege ich das Klopapier nicht in den Kühlschrank. Du hast deine fünf Zwetschgen beisammen gehabt bis zum Schluss, Ditta, und ich bin grimmig entschlossen, mir meine auch nicht nehmen zu lassen. Wir beide sind schließlich mit ganz anderen Problemen fertiggeworden, nicht wahr? Zimperlich sind wir nie gewesen, und da müsste erst ein anderer kommen, nicht irgendein Herr Alzheimer, um uns kleinzukriegen. Also wenn du mich fragst, Eberhardchen ist da weit mehr in Gefahr als wir. Bei dem haben sie den Abstellknopf vergessen, aber das war schon immer so.

Es amüsierte Lisa, dass die sonnengelbe Bluse es der jungen Besitzerin unmöglich machte, zur Toilette zu gehen, ohne aufzufallen. Man würde meinen, die leuchtet im Dunkel, dachte sie. Sie hätte sich gern mit der jungen Frau unterhalten, egal worüber, einfach so. Stattdessen fragte sie Bärbel, wie ihr die gelbe Bluse

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