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Großmutters Schuhe

Großmutters Schuhe

Titel: Großmutters Schuhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Welsh
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mehr erotischen Reiz für dich. Mich führst du vor wie einen dressierten Affen, und ich lasse mich vorführen, weiß der Himmel, warum. Diese ganze Familie geht mir auf den Geist, den haben sie nämlich gepachtet, glauben sie. Was die sich alles einbilden, sogar auf ihreDefizite sind sie stolz. Wenn sie sagen, dass sie nichts von Geld verstehen, sagen sie das im Brustton der Überzeugung, dass sie damit beweisen, wie vornehm sie sind. Ich bin nur neugierig, wie vornehm sie bei der Verteilung des Erbes sein werden. Ob die Alte überhaupt ein Testament gemacht hat? Geht mich ja nichts an, würde mich nur rein platonisch interessieren, wenn man so sagen kann. Sie war die Einzige, die mich nicht als Trottel behandelt hat, weil ich keine sogenannte humanistische Bildung genossen habe. Wobei ich ja meine Zweifel habe, ob die bei den diversen Damen über den geläufigen Gebrauch von Fremdwörtern hinausgeht. Jetzt, wo Edith tot ist, wird man bei den Familientreffen mit ziemlicher Sicherheit vergeblich auf einen wirklich originellen Satz warten. Irgendwie hab ich sie gemocht. Obwohl sie eine Tyrannin war. Alles wusste sie besser, hin und wieder hatte sie sogar recht damit. Mit ihr allein zu reden war angenehm, da konnte sie zuhören, stellte ab und zu eine Frage, immer ein bisschen kokett so nach dem Motto, sie verstehe ja leider rein gar nichts von dieser Materie und müsse daher dumm fragen, und dabei traf sie genau den Schwachpunkt in einer ansonsten völlig logischen Denkstruktur. Es hat Spaß gemacht, mit ihr ins Kaffeehaus zu gehen, selbst der grantigste Ober wurde zu ihrem persönlichen Butler – oder Kammerdiener? –, beflissen um ihren Mantel, ihren Kaffee, ihr Glas Wasser bemüht, immer hatte ich den Eindruck, das Wasser in ihrem Glas wäre völlig anders als das, das wir gewöhnlichen Menschen serviert bekamen. Ich sehe es vor mir, wie sich der Ober im Sperl zu ihr beugte und flüsterte, die Briochekipferln seien gerade erst gekommen, noch warm, und das wirkte wie eine Staatsaktion, als wäre gerade ein Geheimnis verraten worden, von dem Wohl und Wehe ganzer Völker abhing. Etwas von ihrem Glanz fiel immer auchauf mich ab, und das war ganz unabhängig davon, ob ich die teuren handgenähten Schuhe anhatte oder nicht. Mit einem Paar wirklich edler Schuhe, neu dürfen sie nicht sein, aber sehr gut geputzt und poliert, kann man nämlich die interessantesten Studien machen. Diese Schuhe, leicht ausgebeulte Hose, Blazer, den man eigentlich in die Altkleidersammlung tragen sollte, garantieren zuvorkommendste Bedienung, weit bessere als ein Auftritt im Kamelhaarmantel und Seidenschal oder im nach neuester Mode geschnittenen Anzug, Designerkrawatte hin oder her. Das gilt natürlich nur für die alten Ober, für die jungen müsste man ein neues Wort erfinden, richtige Ober werden die nie und nimmer, es fehlt das gewisse Etwas, das man kaum kopieren und noch schwerer beschreiben kann. Findet man höchstens ab und zu bei Ausländern, der Kellner hier hat es beinahe oder wird es entwickeln. Ich habe es gründlich studiert, schon in sehr jungen Jahren, weil ich nicht in die Kreise hineingeboren war, heute könnte ich mir auf der Kulturlosigkeit, die diese Familie so schockiert hat, ein Profil aufbauen, mit dem sich sehr gut Handel treiben ließe, es ist ja geradezu ein Witz, ich gelte bei vielen als einer der letzten wirklichen Gentlemen vom alten Schlag, wie es immer so schön heißt, nur vor der Familie macht es mir Spaß, weiter den Banausen zu spielen. Manchmal frage ich mich, was meine Eltern zu diesem Clan gesagt hätten. Und er zu ihnen, nein, das will ich gar nicht so genau wissen. Stefanie hätte sich in Grund und Boden geschämt, wenn meine Eltern hier aufgetaucht wären. Edith kann ich mir in unserem Schrebergarten vorstellen, die hätte sich da wohl gefühlt. Jetzt wird es keine Familientreffen mehr geben. Wäre ja auch sinnlos ohne sie. Gibt es eigentlich eine Tonbandaufnahme von ihrer Stimme? Hat wohl wieder einmal niemand daran gedacht. Der Wein ist schrecklich, denhat garantiert Eberhard ausgesucht, hält sich für einen Kenner und hat keine Ahnung. Ich wüsste schon gern, ob sie mich eigentlich gemocht hat oder nur Stefanie eins auswischen wollte, wenn sie mich ab und zu allein zum Tee eingeladen hat. Da kommt die Kleine wieder, von vorn ist sie nur halb so attraktiv wie von hinten, zu flach für meinen Geschmack. O Gott, Eberhard räuspert sich schon zum dritten Mal. Es kann nicht mehr lang dauern, bis er

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