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Großmutters Schuhe

Großmutters Schuhe

Titel: Großmutters Schuhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Welsh
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nimmt, sondern in der ihrer Elterngeneration, da sind die Schuldigen leichter festzumachen, und sie selbst müssen sich ihren Widersprüchen nicht stellen. Wenn Vergangenheit immer nur die der anderen ist, wo bleibt dann die Zukunft? Du hast doch immer in der Gegenwart gelebt und irgendwie die Vergangenheit und die Zukunft mit gemeint. Oder will ich das nur so sehen?
    Wie oft hast du gesagt, dass Davonlaufen nicht gilt? Und wo bist du jetzt? Jedenfalls nicht hier, wo du hingehörst.
    Wenn ein alter Mensch stirbt, reden alle vom geglückten, erfüllten Leben. War es das für dich? Warum habe ich dich das nicht gefragt? Aus Angst, du würdest mich auslachen? Oder weil es mir gar nicht einfiel, eine solche Frage zu stellen? Weil für mich feststand, dass du es geschafft hattest, dass du dein eigenes Leben gelebt hast, nicht irgendein fremdes, übernommenes, geborgt oder aufgezwungen. Was ist das überhaupt, ein geglücktes Leben? Hat geglückt mit glücklich zu tun?
    Könntest du bitte aufpassen auf mein Kind, auch wenn es kein Leben nach dem Tod gibt? Was für ein verrückter Gedanke. Aber dir trau ich auch das zu, Großmama, wenn du nur willst.
    Dir konnte ich manchmal sogar Dinge erzählen, die mir peinlich waren, und wenn du darüber gelacht hast, war das kein Auslachen, sondern ein Erkennen, dann konnte ich auch das Komische an meinen Tragödien sehen.
    Ich bin verrückt, gut, bin ich eben verrückt. Dabei war ich doch immer eine recht vernünftige Person. Manchmal zu vernünftig, zu wenig spontan, zu – sagen wir’s ruhig – zu berechnend, zu feige auch. Ökonomisch im Umgang mit mir selbst und mit den anderen. Du hast manchmal gesagt: Trau dich! Trau dich doch! Spring einfach. Jetzt bin ich bereit zu springen und du stehst nicht da, um zu applaudieren, das finde ich nicht nett von dir, überhaupt nicht. Ich weiß nicht einmal, ob ich springen kann, wenn keiner applaudiert. Oder wenn nur die Falschen applaudieren. Warum zum Teufel bin ich dem Scheißkerl nicht böse? Ich müsste ihm doch böse sein. Wenn er jetzt bei der Tür hereinkäme, um den Hals fallen würde ich ihm. Vor der ganzen Mischpoche. Ausgerechnetich. Vor Roland, auch wenn er mich noch so weidwund anschaut. Früher hat mich das wütend gemacht, jetzt rührt es mich. Beinahe.
    Es ist doch seltsam mit den Frauen in unserer Familie. Angefangen mit dir, Dittaoma, oder vielleicht schon viel früher, nur von denen vor dir weiß ich nichts. Alle haben sie gelitten unter den Männern, die ihnen nicht gewachsen waren, haben sie dafür verachtet, dass sie hinter anderen Frauen hergelaufen sind, selbst wenn vielleicht nicht alle von den Typen in fremden Betten gelandet sind, aber dann doch nur, weil sie nicht schnell genug waren. Haben die Männer dafür bestraft, dass sie selbst nicht den Mut hatten, auszubrechen aus ihren Ehekäfigen, haben sich ihre Feigheit als Heiligenschein auf den ordentlich frisierten Kopf gesetzt. Natürlich bin ich ungerecht. Die Frauen in deiner Familie sind alle so erschreckend stark, hat Roland behauptet. Stark? Ich weiß nicht. Du schon, du warst stark, du hast auch nicht Mater dolorosa gespielt, du warst nicht zu Tränen gerührt über dein trauriges Schicksal. Aber die anderen, haben sie nicht eher das Mark aus den Knochen ihrer Männer gezuzelt und sich dann mokiert über die Jammerlappen? Ich auch, ja, ich auch. Mea culpa. Ich weiß nicht einmal, ob ich es heute besser machen würde, wenn wir noch einmal eine Chance hätten, mein armer Roland. Dass wir keine haben, liegt nicht an dem Fremden, es liegt an uns. Einmal, bei unserm letzten hässlichen Streit, hat er geschrien, ich sei so gottverdammt emanzipiert. Nicht emanzipiert genug, Roland. Wer emanzipiert ist, muss niemandem die Luft zum Atmen nehmen. Heute würde ich dir gern schwesterlich die Hand reichen, weißt du, aber ich fürchte, das würde dich nur noch mehr verletzen.

F. T., 75
    Was hat die für einen netten kleinen Arsch, und sie weiß es ganz genau, so geht nur eine Frau, die weiß, dass man ihr nachblickt. Muss eine von den Enkelinnen sein, nein, eine Urenkelin. Ein erfreulicher Anblick jedenfalls. In der Hinsicht hat sich die Familie verbessert, ganz eindeutig. Auch als junge Frauen hatten weder Stefanie noch Friederike so eine Figur. Beine wie ein Fohlen, aber mit äußerst wohlgeformten Waden. Sogar die Kniekehlen sind entzückend, Kniekehlen enttäuschen ja oft. So ein Nichtchen möchte man auf dem Schoß halten. Hoppa, hoppa, Reiter. Geht die jetzt

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