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Großmutters Schuhe

Großmutters Schuhe

Titel: Großmutters Schuhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Welsh
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Wäre sie weniger aufopfernd gewesen, wäre sie auch weniger unerträglich gewesen und so weiter. Wenn man’s genau nimmt, traten ihre guten Eigenschaften aus einiger Entfernung deutlicher hervor und die schwierigen aus allzu großer Nähe. So viele Menschen haben so viele freundliche, dankbare Worte über sie gefunden, sie damit zugedeckt, wie sie den Sarg mit den Blumen zugedeckt haben, die sie ihr nachgeworfen haben. Sie geht mir ganz verloren unter all den Lobreden, fiel mir irgendwann ein, das ist sie nicht, das war sie nicht, das kann keine Frau auf der Welt sein, lasst mir meine herrschsüchtige, ständig fordernde Mutter, mit der ich mich nie auch nur einen Augenblick gelangweilt habe. Erschlagt sie nicht mit einem von diesen Heiligenbildern, die ich als Kind so geliebt habe, alle Farben mit viel Deckweiß gemischt, Heilige mit Fondantglasur. Das hat sie nicht verdient. Man könnte eine Menge gegen sie sagen, aber eineskann ihr niemand absprechen: Sie hatte Geschmack. Ach, Edith, so viele Jahre lang hab ich versucht, das Kind zu sein, das du dir gewünscht hättest. Wie oft habe ich geheult, weil ich deine Ablehnung gespürt habe, ich habe ja nicht kapiert, dass du gar nicht mich abgelehnt hast, sondern meine Untertänigkeit. Rebelliert habe ich, aber nicht gegen dich, sondern für dich, weil ich deine Verachtung für die Angepassten gespürt habe, und du hast gewusst, nicht weil du es analysiert hättest, nicht weil du nächtelang über mich nachgedacht hättest, nein, du hast einfach gewusst, dass meine Rebellion nichts war als verzweifelte Anpassung an das, was ich für dein Bild einer würdigen Tochter hielt. Weißt du, wie oft ich dachte, du könntest gar nicht meine Mutter sein, du wärst meine Stiefmutter, in jedem Märchen hab ich dich gefunden und sogar den Verdacht gehabt, du hättest meine richtige Mutter umgebracht. Über jede einzelne von Vaters Affären habe ich mich gefreut, so hat er mich gerächt, obwohl er mich gar nicht wahrgenommen hat. Wenn ich ihm seinen Espresso brachte und er aufschaute, lag immer die Frage in seinem Blick: Wer ist denn das? »Ach ja, Stefanie, danke schön«, kam dann, begleitet von diesem resignierenden Lächeln. Trotzdem war ich auf seiner Seite, Edith, wäre gern sein Knappe gewesen, bloß brauchte er keinen Knappen, ein Knappe wäre ihm nur im Weg gewesen, seine Waffen brauchte ihm keiner nachzutragen. Dich hab ich verraten, Mutter, tausendmal jeden Tag hab ich dich verraten und doch um dich gebuhlt. Ich habe so gar keine Ahnung, wie du mit Vaters Untreue fertig geworden bist. Eine Zeitlang habe ich dich als Opfer gesehen, einmal habe ich sogar eine Bemerkung gemacht, die ich für verständnisvoll hielt – da hast du mich ausgelacht und eine dumme Gans geheißen. Ich bin monatelang nicht zu dir gegangen und du hast dich auchnicht gerührt, zu Theresas Geburtstag standest du plötzlich da, als wäre nie etwas gewesen, und ich habe mich hinter der Rolle der Gastgeberin verschanzt und demütig das Lob für meine Kuchen aufgefangen wie ein Delphin den Ball. Ja, Edith, es muss einmal gesagt werden nach all den Lobeshymnen: Als Mutter warst du eine Katastrophe. Mich jedenfalls hast du gequält und verbogen. Früher glaubte ich, du hättest eine perverse Freude daran, das war falsch. Ich weiß nicht, ob du selbst zu bedürftig warst, um die Bedürftigkeit deiner Töchter aushalten zu können, ob es daran lag, dass du es als vernichtende Kritik an dir empfunden hast, dass deine Töchter nicht pausenlos glücklich waren, ob du uns als deine Geschöpfe empfunden hast und dich betrogen fühltest um das Spiegelbild in uns, das dir zustand. Was immer es gewesen sein mag, ich will es eigentlich nicht mehr wissen, es geht mich nichts an, es ist dein Geheimnis, du hast ja deine Geheimnisse gut zu hüten gewusst, so gern und viel und manchmal auch klug du geredet hast. Du warst der Mittelpunkt, um dich kreisten wir alle. Als ich aufhörte, Hoffnungen in dich zu setzen, konnte auch ich die Faszination erleben, die du auf andere ausgeübt hast. Seltsam, alle kamen mit Hoffnungen zu dir, die Hoffnungen der Fremden rührten dich, die deiner Töchter wolltest du nicht an dich heranlassen, ich glaube, sie waren dir sogar widerlich. In den letzten Jahren, Edith, saßen wir manchmal tatsächlich entspannt am Kaffeetisch. Das stimmt doch, nicht wahr? Du konntest mich sogar hin und wieder ohne theatralisches Getue begrüßen, das habe ich als Auszeichnung empfunden. Du hättest es

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