Großmutters Schuhe
einmal ihre Namen, keiner hat uns bekannt gemacht, klar doch, der arme Trottel zählt ja nicht, der Alex ist nicht Familie, nicht einmal richtig angeheiratet mit Kranz und Schleier und bis dass der Tod euch scheidet, nur mit so einem popeligen Standesbeamten, Gott, hat der einen Schnupfen gehabt, hat geklungen wie der Graf Bobby persönlich, ich meine, da hätten wir schon umkehren müssen, eigentlich, es kann doch nicht gut gehen, wenn eine Ehe mit so einem Genuschel beginnt. Wie meine Frau Schwiegermamamit meiner Krawatte herumgefummelt hat, ein Stück nach links, ein Stück nach rechts, und die ganze Zeit dieses Glitzern in den Augen, als würde sie am liebsten fest zuziehen. Aus angeheiratet kann angeheitert werden, muss nur ein a unter den Tisch fallen. He, Patricia, ich muss dir was sagen, ist mir grad eingefallen, echt clever, wird dir gefallen. Warum hört mir keiner zu? Patricia, ich bin immerhin dein Vater und du sollst Vater und Mutter ehren, zuerst den Vater, dann die Mutter, das ist die richtige Reihenfolge, schau nach in der Bibel, wenn du mir nicht glaubst. Da kann einer sagen, was er will, meine Tochter ist bildschön, muss ich selber sagen. Bildschön. Allerdings ohne jeden Respekt. Hallo, schau her, ich bin’s, dein Vater! He, Leute! Nein, also so geht das nicht, ehrlich, so geht das nicht. Bin ich am Ende gestorben und hab’s nur nicht gemerkt? Mir scheint, so etwas Ähnliches hab ich einmal in einem Film gesehen. Davon wird man glatt nüchtern. Was ich brauch, ist ein Schnaps. Zwischen zwei Zwetschgernen. Einen Sliwowitz, schönes Kind, als Medizin, verstehst du? Nicht wegen Alkoholiker und so. Auch nicht anonym. Nur Medizin. Auf unsere liebe Oma Edith. Sollst leben, Edith. Bist ja doch die Beste von allen. Und unser kleines Geheimnis behältst du für dich, gelt? Muss ja nicht jeder gleich alles wissen, oder? Prost, Edith. Salute. Cheers. Three cheers for Edith. Kannst auch gern mehr haben. Wie wär’s mit seven cheers for Edith? Keiner kann sagen, dass ich nicht großzügig bin.
Stefanie, 72
Schlimm. Also in diesem Zustand zu Mutters Beerdigung zu erscheinen, eigentlich nicht direkt zur Beerdigung, es ist ja noch ein Glück, dass er so spät kommt und direkt ins Gasthaus, so bleibt es immerhin in der Familie, der erweiterten Familie. Ich will gar nicht daran denken, wie unangenehm dieser Auftritt auf dem Friedhof gewesen wäre, vor gut und gern hundertfünfzig Menschen, wenn es nicht sogar mehr als zweihundert waren. So viele Hände zu drücken, so oft zu murmeln, Danke, sehr lieb. Egal, was jemand sagt, danke, sehr lieb. So viele sind anscheinend wirklich aus innerem Bedürfnis gekommen, viele, die ich gar nicht kannte. So viele, die sagten, wie dankbar sie ihr sind. Mama hätte sich gefreut, denke ich. Es wäre schön, wenn ich glauben könnte, dass sie auf einer Wolke sitzt und zu uns herunterschaut. Wie die Winde gequietscht hat, als sie den Sarg hinunterließen. Müsste man eigentlich dem Friedhofsverwalter sagen, auf die paar Tropfen Öl dürfte es nicht ankommen bei den Preisen für die Bestattung. Jetzt, wo ich daran denke, scheint mir, dass diese Winde schon bei Vaters Begräbnis vor mehr als dreißig Jahren genauso gequietscht hat. Das nennt man dann wohl Tradition. Seltsam, an Tagen wie heute bin ich richtig dankbar für die Traditionen. Sonst wüsste man ja gar nicht, was man tun soll. Wie gut, dass Mama nicht ausgetreten ist aus der Kirche, als sie damit gedroht hat, weil sie so wütend war über den Papst, der Romero den Segen verweigert und ihn damit, wie sie sagte, zum Abschuss freigegebenhat. Wie oft hat sie seither erklärt, jetzt sei es endgültig so weit, und hat dann den Schritt doch nicht getan.
An den Eckpunkten des Lebens tragen die alten Riten vielleicht auch die, die nicht an den Inhalt glauben. Vielleicht gibt die Form an sich den Halt, der verhindert, dass wir uns ganz ins Ungewisse verlieren.
Aber die Rede oder Predigt oder was immer, die war furchtbar. Wer einem Menschen alle Fehler und Schwächen abspricht, spricht ihm das Leben ab. Mama war lebendig. Sie war schwer auszuhalten, sie war stur, nachtragend, taktlos und selbstgerecht, sie hat sich überall eingemischt und keinen Widerspruch gelten lassen, aber sie war auch liebevoll und großzügig, sie konnte lachen und verzeihen und war tapfer und lernbegierig bis zum letzten Tag. Eigentlich waren ihre Stärken und ihre Schwächen beinahe deckungsgleich, quasi die beiden Seiten einer Münze, Kopf und Adler.
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