Großstadt-Dschungel
Trink nicht zu viel. Frohes Neues Jahr.“
„Dir auch.“
Ich komme in die Küche, als Ben gerade unsere Gläser füllt. Er hebt seins hoch. „Auf ein wunderbares Neues Jahr. Auf dass es voll mit gutem Sex ist!“
„Hier, hier!“ ruft Sam, und die beiden küssen sich. Direkt vor uns. Extra blöd, weil Andrew und ich etwas verloren daneben stehen und ihnen zusehen. Seit dem Zugabend hat es zwischen uns keinerlei Kussaktivitäten gegeben.
„Wir sollten langsam mal los“, wirft Andrew ein. Wo ist das Problem? Fühlt er sich unwohl zwischen einem turtelnden Paar? Er sollte sich besser dran gewöhnen … und zwar schnell. Weil heute nämlich Silvester ist. Gibt es einen geeigneteren Zeitpunkt als Mitternacht, der magische Moment, in dem sich alle potenziellen Paare küssen, um eine neue Beziehung ins Rollen zu bringen?
Das „Orgasm“ sieht so aus, wie es immer aussieht, nur dass die Leute etwas schicker angezogen sind. Schwarze und silberfarbene Papierschlangen hängen an den Wänden, und die Kellnerinnen gehen mit Vorspeisentellern durch die Menge. Hmm. Bieten sie auch kleine Frühlingsrollen an? Ich liebe die kleinen Frühlingsrollen.
„Ach du Scheiße“, stöhnt Sam. „Philip ist auch hier.“
„Er starrt her.“
„Was soll ich nur machen?“
„Du hast keinem von beiden was versprochen.“
„Das stimmt! Ich habe noch nicht mal mit einem von beiden geschlafen!“
Was? „Hast du nicht?“ Oh, da geht sie hin, meine Selbst-Sam-tut-es-Theorie. „Was macht ihr denn dann die ganze Zeit, wenn du bei Ben übernachtest?“
„Wir kuscheln viel.“
Kuscheln viel? „Willst du mir weismachen, dass ihr die ganze Nacht im selben Bett verbringt und nicht …“
Ein ganz finsterer Ausblick lässt mich den Satz abbrechen. „Sam, Marc ist hier.“ Ich nicke in Richtung der Bar, wo er mit ein paar Arbeitskollegen steht. Sam scheint auf einmal keine Pupillen mehr zu haben, und das liegt nicht an ihrem weißen Lidschatten. Ich glaube, sie hyperventiliert.
„Beruhige dich, ganz ruhig“, rede ich ihr zu. „Das geht vorüber.“
„Ist das normal? Ist das noch normal?“
Ich glaube, sie fällt gleich in Ohnmacht, und ich hoffe inständig, dass ich mich irre. Dann muss ich nämlich mit ihr nach Hause gehen und sie aufpäppeln. Ich kann aber nicht mir ihr nach Hause gehen. Ich muss mit Andrew nach Hause gehen.
„Ich brauche einen Drink“, haucht sie, anstatt in Ohnmacht zu fallen. Das ist gut.
Ich mache Andrew Zeichen, dass wir an die Bar gehen.
„Ich organisiere uns einen Tisch“, bedeutet er mir zurück.
„Zwei Wodka, bitte“, bestelle ich bei der Barfrau, die nicht Miss Busenwunder ist, aber dieselbe DNA zu haben scheint.
Wir trinken unsere Schnäpse und rühren uns nicht von der Stelle. Sam seufzt. „Was soll ich nur machen? Ich habe über einen Monat nicht mit ihm geredet.“
„Was möchtest du denn machen?“
„Ich will, dass er abhaut. Ich verabscheue ihn. Ich bin auch ohne ihn glücklich. Warum muss er mir mein Silvester kaputt machen? Er hat schon mein Leben ruiniert. Hat er mich gesehen? Guck, ob er guckt.“
Ich gucke. „Er guckt nicht. Ich glaube, er hat dich noch nicht gesehen.“
„Ich kann nicht mehr stehen. Ich muss mich setzen.“
Kipp nicht um, Sam. Kipp bitte nicht um. „Alles klar. Lass uns Andrew suchen. Er wollte einen Tisch besorgen.“
„Warte“, sagt sie. „Deine Frisur.“
„Was ist mit meiner Frisur?“
„Da sind Strähnen rausgerutscht.“
„Na dann steh nicht einfach rum, tu was!“ zische ich sie an.
„Das geht nicht“, sagt sie und versucht, mit bloßen Händen etwas auszurichten. „Du musst es nassmachen.“
Ich kann es nicht nassmachen. Leute mit von Natur aus glatten Haaren verstehen nichts von dem sensiblen Prozess des Haareföhnens, um lockige Haare glatt zu bekommen. Man kann es nicht nass machen. Das wäre wie beim Sport einen Schokoladenriegel zu essen. Was also tun? Zum Glück habe ich eine Tube silikonhaltiges Haargel dabei. Seit jeher frage ich mich, ob es eine gute Idee ist, mir Silikon in die Haare zu schmieren. Ich meine, immerhin wird es als Brustimplantat genutzt, womöglich pumpt es auf Dauer auch meine Haare auf.
„Okay, setz dich. Ich bin sofort zurück.“ Ich bahne mir mit den Ellbogen meinen Weg durch die feiertagsüberfüllte Bar zu den Waschräumen. Vor dem Spiegel kollidiere ich mit Amber. Amber, wir erinnern uns? Die zu Dünne, deren Vater, nein, kein Feuerwehrmann ist, und sie selbst eine sadistische
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