Großstadt-Dschungel
Oprah-Frühjahrskur, kocht kalorienarme Gerichte aus Oprahs Rezeptbuch. Verben wie „teilen“ und „entdecken“ werden in ihrem Sprachgebrauch oft mit Substantiven wie „Seele“ und „Selbst“ verknüpft.
„Hallo, Fern. Wie sind deine Schwingungen?“
„Meine Schwingungen sind gut, danke. Und deine?“
„Wunderbar, wunderbar. Phänomenal geradezu. Was macht deine Therapie?“
„Geht gut voran.“ Bev hat meinen Vater davon überzeugt, mir wöchentlich fünfundsiebzig Dollar für eine einstündige therapeutische Sitzung zu geben. Sie ist davon überzeugt, dass Kinder eine Scheidung nie verwinden und dass mein Umzug nach Boston mich aus der Bahn werfen könnte. Bislang hat das Geld extrem therapeutischen Zwecken gedient; ich habe mir eine neue Sonnenbrille und meine sexy Stiefel davon gekauft. Derzeit spare ich auf einen CD-Player für mein Auto.
„Und was hast du diese Woche über dich herausgefunden?“
„Nicht so viel“, sage ich. Es war definitiv noch zu früh am Morgen, um sich Psychoanalytisches aus den Fingern zu saugen. „Und was gibt’s bei dir?“
„Oh, das Übliche. Intensives Walken. Einträge in mein Dankbarkeitsbuch.“
Ich verkneife mir, sie danach zu fragen, was ein Dankbarkeitsbuch ist.
„Und letzte Woche habe ich das beste Buch aller Zeiten gelesen“, ergänzt sie. „Ich bin mir sicher, du würdest es lieben.“
„Was denn für ein Buch?“
„Oh, ähm … Es erzählt von einem Mädchen aus der Unterschicht, das von einem Familienangehörigen sexuell missbraucht wurde. So was, ich hab den Titel vergessen, aber die Geschichte traf voll ins Schwarze.“
Ich sehe nicht ganz die Verbindung zwischen der namenlosen Ich-Erzählerin und meiner in Manhattan geborenen Stiefmutter, die den Freitag beim Friseur, den Samstag bei der Maniküre und die Montage bis Donnerstage beim Shoppen verbringt, wenn sie nicht gerade Oprah sieht. Wie auch immer, wir haben nie eine Vertrautheit erreicht, die es mir erlauben würde, sie darauf hinzuweisen. „Nenn mir den Titel des Buches, wenn du dich wieder erinnerst, und ich kauf es mir, okay? Ich muss jetzt Schluss machen.“
„Okay, bye. Denk an deine Schwingungen.“
„Klar.“ Ich lege den Hörer zur Seite und schlafe wieder ein.
Als ich um 13:30 Uhr wach werde, gelingt mir der erste zusammenhängende Gedanke. Wir zählen den Tag 1 n.T. (nach Trennung), und ich habe bereits eine Beziehung zu meinem zukünftigen Mann geknüpft.
Ich habe vielleicht ein Date. Bald.
Yeah!
Mit Jonathan Gradinger. Die Sache ist, dass ich, sind wir erst mal verheiratet, aufhören muss, ihn bei seinem vollen Namen zu nennen. Das hört sich sonst an wie eine Figur aus den Jane-Austen-Romanen: „Guten Morgen, Mr. Gradinger. Würden Sie mir wohl die Zeitung reichen, Mr. Gradinger?“
Warum hat er noch nicht angerufen?
Ich gebe zu, dass ich ein wenig hysterisch bin. Laut „Swingers“ muss er mindestens drei Tage warten. Oder sogar fünf? Wie soll ich denn fünf Tage aushalten?
Ich muss Wendy anrufen.
Ich wähle ihre Jobnummer. Wie viel sagend ist das denn nun wieder? Es ist Samstagnachmittag, und ich muss mir nicht einmal die Mühe machen, es bei ihr zu Hause zu versuchen.
„Hallo, hier ist Wendy.“
„Hi!“
„Hallo“, sagt sie. Ich höre, wie sie in irgendwelchen Papieren wühlt. „Und? Wie war’s?“
„Ohne Worte. Ich bin komplett über Jeremy hinweg.“
„Sicher“, entgegnet sie. Höre ich da leise Ironie?
„Doch, bin ich wirklich. Ich hab nämlich zufällig meinen zukünftigen Mann getroffen.“
„Das ist gut. Darf ich deine Ehrenbrautjungfer werden?“
„Nein. Du kannst eine normale Brautjungfer sein. Ich musste Iris hoch und heilig versprechen, dass sie die Ehrenrolle bekommt. Dafür kannst du den Junggesellinnenausstand organisieren.“
„Hört sich gerecht an. Aber du wirst immer noch
meine
Ehrenbrautjungfer. Sollte ich je wieder die Zeit haben, mich zu verabreden, heißt es.“ Wendy ist unfreiwillig abstinent, seitdem sie den neuen Job hat.
„Selbstverständlich werde ich deine Ehrenbrautjungfer. Ich habe schon die Rede geschrieben“, erzähle ich. Nicht die ganze, versteht sich. Aber manchmal passieren wirklich witzige Sachen, und wenn ich die nicht direkt aufschreibe, würde ich vergessen, was ich sagen wollte, also … ja, in gewisser Weise bin ich ein Streber.
„Das kann ich mir vorstellen. Und wer ist nun der zukünftige Mr. Norris?“
Ich lege eine Kunstpause ein. „Jonathan Gradinger.“
„Was
?“
„Du
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