Großstadt-Dschungel
Nachricht auftaucht.“
„Zuuuuu clever. Du wärst eine wirklich
extraordinäre
Singlefrau.“
„Danke, aber nein danke.“
Ich wähle vorab den Code, mit dem ich meine Nummer unterdrücke, und rufe dann erneut bei Jonathan an. Sam hält zur moralischen Unterstützung meine freie Hand.
„Das ist der Anschluss von Jonathan Gradinger. Ich kann im Moment leider nicht ans Telefon. Bitte hinterlassen Sie Ihren Namen und Ihre Nummer. Ich rufe schnellstmöglich zurück. Hinterlassen Sie also Ihren Namen und Ihre Nummer. Ich rufe schnellstmöglich zurück. Ich wünsche Ihnen einen wunderbaren Tag.“
Ich versuche, meiner Stimme einen möglichst natürlichen Klang zu geben, lese meine hingekritzelte Nachricht und lege den Hörer mit Bedacht zurück auf die Station.
Jetzt hatte ich nichts anderes zu tun, als zu warten.
Hmm, hmm, hmm.
Wie soll ich denn jetzt den ganzen Tag warten?
Wie soll er mich denn zum Picknick abholen und mein sauberes Bad sehen, wenn er nicht zurückruft?
„Was mache ich denn jetzt den ganzen Tag, Sam? Was machst du denn?“
„Ein paar Hausaufgaben korrigieren.“
„Du gibst in der vierten Klasse Hausaufgaben auf? Das ist ja echt fies.“
„Die Verwaltung verlangt das.“
„Hast du Lust auf Shoppen?“
„Geht nicht. Ich bin pleite.“
„Ja, ich auch. Aber was macht das für einen Unterschied?“
„Nur einen Schaufensterbummel zu machen finde ich deprimierend.“
Oh. Aha. Dann sehe ich eben fern. Jonathan ruft bestimmt bald zurück.
Sechs Uhr. Kein Jonathan.
Sieben Uhr. Ich bin sicher, dass er nur den Nachmittag unterwegs ist.
Acht Uhr. Er kommt gleich zurück. Er macht den Fernseher an, bereit für eine neue Folge der „Simpsons“.
Letzte Einstellung. Gleich klingelt’s.
Vorbei. Das Telefon wird sich nun jede Sekunde melden. Jede Sekunde. Na komm schon, Telefon, nicht so schüchtern.
Es ist elf, und ich warte nicht mehr. Ich verabscheue Jonathan Gradinger. Offensichtlich hat er heute Abend jemand anderen getroffen, sich verliebt und mich ganz und gar vergessen. Niemand wird mich je wieder lieben. Meine Tage werden aus Arbeit, meine Nächte aus Fernsehgucken bestehen, und die Samstage werde ich von nun an damit zubringen, ins Kino zu gehen – allein.
Und so gehe ich ins Bett – allein.
Am nächsten Tag versuche ich ein Manuskript zu lesen, aber jedes Mal, wenn ich an das Ende eines Absatzes komme, prüfe ich, ob ich neue Nachrichten habe. „Keine neuen Nachrichten“, tönt die mechanische Stimme des ABs.
Voller Selbstmitleid komme ich zu Hause an. Aber was ist das? Schon vom Flur aus erkenne ich das rote Blinken. Ich lasse meine Schuhe an – bloß keine Zeit verschwenden! –, obwohl ich weiß, dass Sam mich umbringen wird. Bitte, bitte, lass es nicht Janie sein, bitte nicht Janie … „Hi, Jackie, ich bin’s, Jonathan Gradinger. Meld’ dich. Meine Nummer auf der Arbeit ist 555 9478. Meine Nummer auf der Arbeit ist 555 9478.“
Diesmal wird nicht gewartet, kein Bad geschrubbt, keine Spielereien mit rotem Filzstift. Mir doch egal, wenn mein Bett nicht gemacht ist. Ich rufe ihn genau
jetzt
zurück.
„Klinik Dartmouth“, sagt eine weibliche Stimme.
„Guten Tag. Kann ich bitte mit Dr. Gradinger sprechen?“
„Wen darf ich ihm melden?“
„Jackie.“ Noch kann ich einigermaßen mit diesen ewigen
Dopplungen auf dem Anrufbeantworter leben. So kann man sich nach der Hälfte der aufgenommenen Nachricht die Sache noch mal anhören, wenn man möchte. Oder noch mal und noch mal und noch mal.
„Und der Nachname?“ Aha, diese Frau hätte wohl gern ein Stück von meinem Jonathan ab. Vielleicht hatte sie sogar schon mal einen Teil gehabt. Vielleicht ist sie die Erklärung, wo er gestern Abend war.
„Hallo?“ hakt sie etwas ungeduldig nach.
„Norris. Er weiß, wer ich bin. Er hat mich angerufen, ich rufe zurück.“
„Einen Moment bitte.“
Sie hat mich weggedrückt. Was für eine Art Verabredung wird er wohl vorschlagen? Die Art der Einladung sagt viel über einen Mann aus. Abendessen bedeutet, dass er keine Scheu hat, sich voll einzulassen.
„Jackie?“ begrüßt er mich mit seiner feschen, sexy Stimme.
Kaffee heißt, er ist ein Feigling. „Jonathan! Hallo!“
„Schön, von dir zu hören.“
Andererseits könnte es auch heißen, dass er sensibel ist. „Schön, von
dir
zu hören.“
Er lacht. „Ich hab doch gesagt, dass ich mich melde.“
„Stimmt.“ Ein Drink wäre das Beste. So trendy.
„Wie war der Rest von deinem Wochenende?“ fragt
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