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Großstadt-Dschungel

Großstadt-Dschungel

Titel: Großstadt-Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Mlynowski
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und einen Termin vereinbart. Da sieht man mal, wie organisiert ich sein kann, wenn ich mir vorher Gedanken mache. Der Lehrer, Meister NanChu, lud mich für Sonntagmorgen zu einer Probestunde ein. Super, eine Gratisstunde sogar! Aber – warum brauche ich eigentlich eine Probestunde? Was, wenn er mich nicht mag? Kann er mich ablehnen?
    Ich werde mich zurechtmachen wie das Mädchen in der Tanzszene von „Flashdance“. Zum Glück habe ich traumhafte schwarze Calvin-Klein-Workout-Sportschuhe und ein tolles enges Top, das ich mir letzten Winter in einem Outlet gekauft habe.
    Morgen ist Samstag, da werde ich abends nicht lange unterwegs sein können. Nicht zu lange jedenfalls. Wenn ich um elf in der Taekwondo-Schule sein soll, muss ich spätestens um halb elf das Haus verlassen, was bedeutet, dass ich um zehn aufstehen muss. Halt – ich sollte vorher etwas gegessen haben. Wenn man schwimmen geht, sollte man mindestens eine Stunde davor nichts zu sich genommen haben; das gilt wahrscheinlich auch beim Kampfsport. Ich muss also um Viertel vor zehn mit dem Frühstück fertig sein, was heißt, dass ich um halb zehn damit anfangen sollte, was wiederum heißt, um Viertel nach neun aufzustehen. Vielleicht um fünf vor halb zehn, wenn ich mich nicht dusche.
    Aber alles schön der Reihe nach. Heute Abend gehe ich mit Natalie ins „Orgasm“. Sobald sie an der Tür auftaucht, um genau zu sein. Ich warte schon seit einer Ewigkeit in der Lobby, laufe in meinen neuen Stiefeln auf und ab, die zwar niemand sehen kann, da ich lange Hosen anhabe, aber ich fühle mich trotzdem ziemlich sexy.
    Schließlich fährt ein BMW mit quietschenden Reifen die Einfahrt hoch. Die Fahrerin hat blendend weiße Zähne und glänzendes langes schwarzes Haar. Neben ihr sitzt wild winkend Natalie. Ich öffne die Wagentür und klettere auf den Rücksitz.
    Natalie sieht in den Rückspiegel und stellt uns vor: „Jackie, das ist Amber.“
    Amber? Ist sie eine Sängerin aus den Achtzigern? Ein Pornostar? „Hi, Amber. Schön, dich kennen zu lernen.“
    Amber hebt leicht ihren Arm zur Begrüßung. Ihre Nägel sind
so was
von falsch. Und bei den Ausmaßen ihrer Brust bin ich mir auch nicht sicher. Ich wette, dass sie einen total laschen Händedruck hat; ihr Handgelenk ist dünn wie ein Schaschlikspieß. Mein Vater hat immer gesagt, dass man eine Person nach ihrem Händedruck beurteilen kann.
    „Wie hast du Nat kennen gelernt, Amber?“
    „Schule.“
    Ich tippe nicht auf die Uni. Ihr steht das Wort „blöd“ über das ganze hübsche Gesicht geschrieben. „High School?“
    „Nein, Unterstufe.“ Ihre Stimme ist leise und kratzig; sie erinnert mich ein bisschen an Grover aus der Sesamstraße.
    „Amber wohnt ganz in meiner Nähe“, sagt Natalie und versucht, deren mäßiges Kommunikationsgeschick zu überspielen. Nicht dass ihr das besonders gut gelingen würde.
    „Lustig.“ Pause. Jetzt ist es aber Zeit für dich, mir eine Frage zu stellen, Amber Schätzchen.
    Schweigen.
    Okay. Ich bin noch mal dran. „Was machst du in Boston?“
    „Ich lebe hier.“
    Sag bloß, wäre ich gar nicht drauf gekommen, alte Hexe. Ich meinte eigentlich, ob du hier arbeitest oder studierst, aber ich vermute nun, dass du den ganzen Tag auf deinem knochigen Hintern sitzt und dir die Nägel feilst, um dann mit Freunden Selleriestangen zum Lunch zu essen.
    Seit der Geschichte mit dem Exhibitionisten weigert Natalie sich, noch irgendwohin zu Fuß zu gehen. „Wo parken wir?“ Ich stelle die Frage in den Raum und stoße auf taube Ohren. Parken? Hallo? Auto? Ist da jemand? Bin ich eine Figur in einem Beckett-Stück oder was? Ein Darsteller aus „Twilight Zone“?
    Natalie dreht sich zu mir um. „Amber parkt bei der Feuerwache.“
    „Die Feuerwache? Wen kennt ihr von der Feuerwache?“
    Keine Antwort.
    „Ist dein Vater Feuerwehrmann oder so was?“
    „Nein, er ist Chirurg.“
    Ach so,
entschuldige
bitte. Nun weiß ich wenigstens, dass ich ihr eine Antwort entlocken kann, wenn ich ihre Familie mit den öffentlichen Hilfsdiensten in Verbindung bringe. „Das heißt,
du
bist bei der Feuerwehr.“
    „Nein, ich bin Zahnärztin.“
    Das hätte ich nicht gedacht. Sie ist also doch nicht blöd, sondern einfach eine Zicke. In gewisser Weise passt das, wo ihre Gegenwart doch solche Schmerzen verursacht.
    Die Feuerwache ist direkt hinterm „Orgasm“. Sechs Männer, Feuerwehrmänner vermutlich (eine brillante Schlussfolgerung, ich weiß), sitzen rauchend an der Auffahrt. Das Bild hat was

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