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Großstadt-Dschungel

Großstadt-Dschungel

Titel: Großstadt-Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Mlynowski
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es mir nicht eben leichter; ich kann nicht über die Köpfe hinweggucken.
    Problem Nummer zwei: Immer wenn ich mich mit dem Ellbogen vorweg in eine Lücke quetsche, schwappt ein Schluck von meinem Drink über den Rand. Wer hat eigentlich diese unpraktischen, V-förmigen Gläser erfunden?
    Schließlich habe ich es einmal halb durch die Bar geschafft. Das Ende des Raumes kommt viel versprechend wie ein goldener Kelch oder ein Nimm-zwei-zahl-eins-Angebot in Sicht. Was, wenn meine Zwillingsseele am Ende der Bar auf mich wartet? Und was, wenn er dort nur vier Minuten wartet? Und wenn es mir nicht gelingt, innerhalb dieses Zeitraums auf ihn zu stoßen, ihn zu finden, dann wird die Gelegenheit unwiederbringlich verloren sein, und ich werde für den Rest meines Lebens allein durch die Welt laufen müssen.
    O nein, das ist ja mein Streifen-Boy! Der süße Blonde mit der New Yorker Brille von letzter Woche. Er sitzt allein auf einem Hocker in der Ecke, und hier stehe ich, gefangen in einer uralten mathematischen Fragestellung: Wenn ich immer die Mitte überschreiten muss, um zu dem Endpunkt zu gelangen, wie soll ich dann je mein Ziel erreichen, da jede Mitte bereits ein Ziel ist und jedes Ziel eine Mitte hat? Wenn der Abstand zwischen einer Frau und dem Ende der Bar, sagen wir mal sechs Meter beträgt, muss die Frau nach drei Metern die Mitte überschreiten, bevor sie ihr Ziel erreicht, aber zunächst muss sie ja bei anderthalb Metern die Mitte der Mitte überschreiten und so weiter und so fort … Guter Gott, es wird immer eine Mitte geben, und ich werde meine verdammte Zwillingsseele nie erreichen, ach mein Streifen-Boy, du begehrtes, unerreichbares Subjekt!
    Was vielleicht aber doch nicht so übel ist, weil Jon Gradinger mit einer Hand auf dem Tresen und bekleidet mit einem Rolli genau in der Mitte einer Mitte steht, was meiner alten Ich-verabrede-mich-nicht-mit-Typen-im-Rolli-Regel Nachdruck verleiht. Wer trägt schon einen Rolli, wenn er abends ausgeht? Ich drehe mich um und lege die drei Mitten, die ich bis hierher unbeschadet überlebt hatte, in die andere Richtung zurück.
    Wo wir schon mal dabei sind: Warum hat der Streifen-Boy einen Tick mit Streifen? Eine Störung aus seiner Kindheit? Vielleicht gehört er zu der Sorte Mensch, die ihre Zukunft ganz linear planen? So wie ich. Habe ich nicht auch ganz linear geplant, als ich Meister NanChu angerufen habe? Streifen-Boy hat vermutlich einen Zehn-Jahres-Plan. Um die Richtige zu treffen. Mich. Um sich in die Richtige zu verlieben. In mich. Um ihr einen Antrag …
    Ein Büschel roter Haare taucht eine andere Mitte von mir entfernt auf. Andrew? Gott sei Dank. Jetzt habe ich jemanden, mit dem ich reden und gleichzeitig allen Skeptikern gegenüber (in erster Linie Andrew selbst) unter Beweis stellen kann, dass ich Freunde habe.
    Ganz der gesellschaftliche Schmetterling, dieser Andrew. Immer mit von der Partie. Ellbogenerprobt drängle ich mich zu ihm durch. Stoßen. Ellbogen. Stoßen. Jemand klopft mir auf den Hintern.
    Andrew lächelt, als er mich sieht. „Hallo, Jack.“ Ein aufmerksamer Arm legt sich um meine Taille.
    Ziel erreicht. Mathematische Theorie als falsch widerlegt.
    „Ich hatte vorhin schon gemeint, dich erkannt zu haben. Allein hier?“
    Ich versetze ihm einen leichten Klaps auf den Arm. „Nein, ich bin
nicht
allein hier. Natalie sitzt direkt …“
    „Ich mache nur Spaß.“ Er nimmt einen Schluck von seinem Bier. „Ich bin sicher, dass du nicht jeden Abend allein unterwegs bist.“ Er lächelt, und seine Augen glitzern schelmisch.
    „Und, wer ist die Blonde?“
    „Die Blonde? Wo?“ Er sieht sich vermeintlich aufgeschreckt in der Bar um. Ich haue ihm erneut auf den Arm.
    „Jessica. Der Zwilling aus Sweet Valley. Im Kino.“
    „Was ist denn ein Zwilling aus Sweet Valley?“
    „Bringen die euch in Harvard denn gar nichts bei?“
    „Offensichtlich.“
    „Offensichtlich kommst du aber auch nicht zum Studieren. Du bist eher der Herr der Piste.“
    „Ich kenne keinen Herrn der Piste – ich verlasse meine Wohnung allenfalls viermal im Jahr.“
    „Ja, sicher. Und dreimal davon in den vergangenen zwei Wochen.“ Was spielte er da, den Partygänger, der es nicht zugibt?
    „Die entscheidendere Frage ist doch aber wohl, wo
du
die ganze Zeit über gewesen bist.“
    „Hier und da.“ Hier und da in meiner Wohnung.
    Eine Brünette hat ihm einen Stoß zu viel versetzt, und er rempelt gegen mein Bein. „Ich gehe nur aus, wenn Ben mich mitschleppt“, sagt

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