Großstadt-Dschungel
bekommen.
Seine Lippen verformen sich zu einem teuflischen Jack-Nicholson-Lächeln. „Wie bist du denn Lektorin geworden?“
„Ich habe an der Uni englische Literatur belegt.“
„Worauf hast du dich spezialisiert?“
„Die Zwischenprüfung habe ich in allgemeiner Literaturgeschichte abgelegt. Für den M.A. habe ich mich auf die romantische und die realistische Epoche in der amerikanischen Literatur konzentriert.“ Für meine Abschlussarbeit wollte ich mich für das eine oder das andere entscheiden, aber dann habe ich das ganze Projekt nach einem Jahr ja unterbrochen, als ich Jeremy blindlings nach Boston gefolgt bin. Das mit dem „unterbrechen“ redete ich mir jedenfalls ein. „Ich vermute, du hast auch englische Literatur studiert, oder?“
Er lächelt. „Gibt es denn noch was anderes?“
Ich habe noch nie etwas mit einem literarischen Kopf gehabt. Nein, in meinen Kursen saßen keine Streifen-Boys; aus irgendwelchen Gründen trafen sich in meinem Unterricht immer nur unverhältnismäßig viele coole Frauen und beflissene Typen. Ich rede dabei nicht von jenen beflissenen Typen, die einer Frau morgens um zwei in einem kleinen Café über zig Tassen Espresso den Kopf verdrehen, indem sie ihre profunde Kenntnis der universalen Zusammenhänge als Waffe einsetzen. Die gute Sorte Streber könnte, wenn sie einen beeindrucken will, etwa Folgendes sagen: „Meine Definition von Euphorie besteht darin, Karl Marx nackt an einem Strand in Mexiko zu lesen.“ Die Art von Streber, die in meinen Literaturkursen saß, malte mit ihrem Stift kleine Kreise auf ihre trockene Haut, und wenn einer etwas sagen sollte, das einen beeindruckte, kam etwa: „Ich habe einen großen Stift“ und meinten damit wirklich den Stift. Das Schreibwerkzeug. Nicht ihren eigenen.
„Und du? Worauf hast du dich spezialisiert?“ Wenn er jetzt Lyrik sagt, hat die Suche ein Ende. Ich gebe meine hohen schwarzen Stiefel in die Altkleidersammlung und füge mich meinem Schicksal. Wer will schon mit den höheren Mächten diskutieren?
„Ich hab mir vieles angeguckt, dann aber versucht, mich auf Lyrik zu konzentrieren.“
O mein Gott. Noch fünfzig Jahre, und wir sitzen auf der Hollywoodschaukel unserer Terrasse und sehen uns den Sonnenuntergang an. Ich helfe ihm bei seinem jüngsten Manuskript. Vielleicht wohnen wir in einem Haus hinter einem Berg, so eine Art Hütte wie in „Little House on the Prairie“, nur mit einem Wasseranschluss im Haus, einem Computer und einem Herd mit Ceran-Kochplatten – und einem Klavier. Auf jeden Fall ein Klavier (sollte ich jetzt schon mit dem Unterricht anfangen?). Ich werde dann dort sitzen und Klavier spielen. Er wird dort sitzen und die Rechnungen bezahlen. Und wir werden Dinge wie Aschenbecher und Kunstwerke sammeln.
Ich habe ein Déjà-vu-Erlebnis. Egal. Der Text stammt aus einem Film namens „Annie“.
„Und was bearbeitest du?“
„Hmm … Manuskripte.“
„Was für Manuskripte?“
„Frauenliteratur.“
„Feministische Belletristik? Die Virginia Woolfs und George Sands von heute?“
Nicht ganz. „Ich arbeite bei Cupid.“
„Liebesromane?“ Er lacht. „Henry James würde sich im Grab umdrehen. Darf ich dir was zu trinken holen?“
„Gern, einen Manhattan.“
„Manhattan? Edles Getränk.“
Ich liebe Amber. „Ich bin ein edles Geschöpf.“
„Dann muss ich mich aber beeilen.“
„Ich bitte darum.“
Das läuft genau so, wie mein neuer Lebensentwurf es vorsieht. Ich habe meine Zwillingsseele getroffen, und es hat mich nur achtundvierzig Minuten gekostet.
Er kommt zurück – natürlich kommt er zurück; er ist unerklärlicherweise vollkommen hingerissen von mir – mit zwei Manhattan in der Hand. „Gut, dass du noch da bist.“
Als ob ich irgendwohin gehen würde, wo wir buchstäblich doch schon verschmolzen sind (nicht zu verwechseln mit der buchstäblichen Verschmelzung). „Ich würde gern mehr über dein Schreiben erfahren“, sage ich und nippe an meinem Getränk. Ich sehe runter auf mein Glas und bekomme plötzlich ein komisches Gefühl im Bauch. Was, wenn meine Zähne sich davon rot färben? Ich muss sehr vorsichtig trinken, am besten gleich schlucken und die Flüssigkeit nicht lange im Mund haben. Ich wünschte, ich könnte einen Strohhalm benutzen. „Wo hast du veröffentlicht?“
„Heat, Other People’s Money, Playboy … Und noch ein paar andere. Ich habe überwiegend Kurzgeschichten geschrieben, aber auch einige Interviews gemacht. Früher schrieb ich
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