Großstadt-Dschungel
Achseln, trinkt und geht zurück zur Bar.
„Nach den Geräuschen, die aus seinem Schlafzimmer kommen, könntest du eventuell was verpassen“, wirft Andrew ein.
„Das bezweifle ich. Du hörst wahrscheinlich, wie er in seinen Mülleimer kotzt. Oder sein Gejammer, wenn er realisiert, dass er in seinem Zustand nicht mehr kann.“
„Bist du sicher, dass du es dir nicht noch einmal überlegen willst? Er ist kein schlechter Kerl, trotz seiner gewissen Oberflächlichkeit.“
„Vor einer Minute warst du noch gegen die Idee. Und jetzt spielst du den Zuhälter?“
„Wozu sind Freunde da?“
Freunde? Interessante Vorstellung. „Wenn du wüsstest, wie schwer es ist, in einer neuen Stadt männliche Freunde zu finden“, gebe ich zu. „Aus irgendeinem Grund bringt es die Leute immer auf falsche Gedanken, wenn man sie bittet, eine Glühbirne auszutauschen. Haben Glühbirnen irgendetwas Phallisches an sich, das ich bislang übersehen habe?“
„Das ist das Tauschprinzip – technische Hilfe gegen Sex. Über wie viele Glühbirnen sprechen wir genau?“
„Nur zwei Dutzend.“ Vielleicht haute das wirklich hin. Was genau meinte Harry, als er zu Sally sagte, Männer und Frauen könnten nicht befreundet sein? „Und dann gibt es da noch dieses Bücherregal, das ich zusammenbauen müsste.“
„Warte mal. Lass mich das verstehen. Ich schinde mich in deiner Wohnung ab und bekomme nichts dafür?“
Du kannst alles haben, was du willst. „Du bekommst meine unverbrüchliche Freundschaft. Und ein Essen.“
„Kannst du kochen?“ fragt er. „Was kannst du?“
Kochen? Nein, natürlich nicht. „Ich habe ein unglaubliches Talent, den Pizza-Service anzurufen“, antworte ich und drehe ihm den Rücken zu, um langsam zu Nat zurückzugehen. „Und ich kann erstklassig einen Tisch reservieren.“
Ich muss mich setzen. Meine Füße sind in ganz finsterer Verfassung. Warum müssen die schönsten Stiefel bloß immer so verdammt unbequem sein? So ein Glück, direkt neben Nat ist ein Platz frei. Ich will mich gerade niederlassen, als ich feststelle, dass Streifen-Boy auf Ambers Platz sitzt.
„Da bin ich wieder“, sage ich. Er ist süß. Sein blond gefärbtes Haar lässt ihn ein bisschen wie das Mitglied einer Boygroup wirken, aber seine dunkel gerahmte Brille macht ihn dann auch ein paar Jahre älter.
„Wo warst du?“ will Nat wissen. „Setz dich doch.“
„Ich habe mich mit Andrew unterhalten.“
„Andrew? Er ist hier? Wo?“
Ich zeige um die Ecke.
„Mit wem ist er gekommen?“ fragt sie.
„Mit irgend so einem Typ. Ben.“
„Ben Mason?“
„Keine Ahnung.“
„Groß? Hübsch? Blond?“
„Ja.“
„Betrunken?“
„Bingo.“
„Der Typ ist immer besoffen“, mischt sich der Streifen-Boy ein.
Natalie sieht zuerst zu ihm, dann zu mir. „Bin gleich zurück“, sagt sie, was übersetzt heißt: Ich verabschiede mich für den Rest des Abends und hoffe, dass ihr euch was zu erzählen habt. „Amber will nicht, dass wir den Tisch verlieren“, fügt sie noch hinzu, bevor sie geht, „also haut nicht ab.“
Nicht abhauen? Macht sie Witze? „Hallo, ich bin Jackie.“ Nicht gerade ein Kickstart, aber immerhin ein Anfang.
„Damon“, sagt er und reicht mir seine Hand. Ich schüttle sie. Fester Händedruck. Starke Persönlichkeit. Dad wäre einverstanden.
„Erzähl mir was von dir, Damon.“ Der Alkohol zeigt erste Wirkung.
Er dreht das Glas zwischen seinen schlanken Fingern. „Ich bin Schriftsteller.“
O nein. Das ist wirklich Schicksal. „Ich bin Lektorin.“ Unsere Blicke treffen sich über den ungesagten, unredigierten Worten zwischen uns. „Was schreibst du?“
„Einen Roman.“
„Deinen ersten?“
„Ja.“
„Worüber?“
„Ein Junge wird in Boston erwachsen.“
Das gibt es doch gar nicht, und ich schwöre, dass ich das nicht einfach so sage, aber sollte ich je einen Roman schreiben, dann genau darüber. Natürlich nicht über einen Jungen, der erwachsen wird; mein Verständnis der männlichen Psyche reicht nicht so tief. Mehr noch, seit Jer frage ich mich, ob die männliche Psyche derlei Tiefen überhaupt hat. Demnach würde ich eher über ein Mädchen schreiben, das zur Frau wird, und zwar im Stil von Judy Blume. Und ich würde den Schauplatz vermutlich nach Connecticut verlegen. Der einzige Ort, den ich in Boston gut genug kenne, ist diese schummrige Bar, und die Damentoilette hier ist nicht der richtige Platz für eine hübsche Zwölfjährige, zum ersten Mal ihre Tage zu
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