Großstadt-Dschungel
Crystal reden sehen.“
Er hat mir früher mal gesagt, dass er Crystal Werner, die mit ihm in der studentischen Vertretung war, ganz süß fand. Als ob ich das hören wollte. Er hätte besser nicht mit Crystal unterwegs sein sollen.
„Mir ist es egal, dass er wieder da ist“, sage ich aus unerfindlichen Gründen. Aus unerfindlichen Gründen, weil ich weiß, dass ich lüge, und Wendy weiß es auch. Es gibt nur einen Grund zu lügen, und das ist, wenn man glaubt, dass jemand einem glauben wird, und wenn dieser Jemand schon nicht der Mensch ist, den man belügt, dann sollte man es wenigstens selbst sein.
„Wenn du willst, kannst du bei mir wohnen“, bietet Wendy widerwillig an.
Nun ja. Wo sollte ich denn sonst wohnen? Glaubt sie wirklich, ich zöge es auch nur im Entferntesten in Betracht, bei Jer abzusteigen? Ich meine, ich kann natürlich alles Mögliche hoffen, aber ich würde nie ohne einen Schlafplatz im Rücken nach New York fahren.
Man stelle sich das vor: Jer und ich gucken uns das Foto eines Thai-Tempels an, und er sagt plötzlich: „Da fällt mir ein, wo schläfst du eigentlich?“ Sobald er das fragen würde, wüsste ich, dass ich nicht bei ihm übernachten soll, also müsste ich lügen und sagen, dass ich bei Wendy wohne, denn wenn ich sagte, ich bliebe in einem Hotel, wäre ihm sofort klar, dass ich nur gekommen bin, um ihn zu sehen. Er würde mir darauf erwidern, dass ihn das freue, und mir ein Taxi bestellen. Ich müsste an der nächsten Ecke das Taxi aber wieder verlassen, weil ich es mir nicht leisten kann, die ganze Nacht durch New York zu cruisen, und so würde ich auf der Suche nach einem billigen Hotel zu später Stunde die Straßen abwandern und mit Sicherheit ausgeraubt werden.
„Danke, danke, danke!“
„Wirst du ihn anrufen?“
„Nein. Wir werden ihm einfach über den Weg laufen.“
„Wir kennen seinen Tagesablauf nicht.“
„Du hast ihn einmal zufällig getroffen. Ich bin sicher, das gelingt dir auch ein zweites Mal.“
Yeah! Weihnachten in New York!
Dass ich wegfahre, ist eine wirklich gute Sache. Jeder flieht aus Boston. Sam und ihre beiden Brüder besuchen ihre Großeltern in Florida; Natalie macht mit ihren Eltern eine Karibikkreuzfahrt; und Andrew wird, wie ich, in New York sein, um im Gegensatz zu mir seine Familie zu besuchen.
„Bev wird sehr enttäuscht sein.“ Mein Dad ist nicht gerade begeistert von meinem Sinneswandel.
„Ich weiß, aber ich habe euch doch erst im September am Tag der Arbeit gesehen, und bei Janie und Iris war ich seit Juli nicht mehr.“ Komme ich in die Hölle, wenn ich nicht die Wahrheit über meine Weihnachtspläne sage? Ich bin wirklich die schlimmste Tochter von allen. Meine Mutter denkt, ich fahre zu meinem Vater nach Connecticut, und mein Vater denkt, ich fahre zu meiner Mutter nach Virginia. Puh. Ich wiederhole nochmals einen der Vorzüge, wenn die eigenen Eltern sich wie Fremde behandeln: Sie prüfen nichts beim anderen nach.
Tim ist von meinem Trip auch nicht begeistert. „Warum verbringen wir Weihnachten nicht zusammen?“ schlägt er vor. „Ich verkleide mich im Waisenhaus als Santa Claus.“
Hm. Aus irgendeinem Grund törnt mich die Vorstellung an, Tim im Kostüm zu sehen. Vielleicht hat es was mit dem Mann-in-Uniform-Ding zu tun. Vielleicht lese ich aber auch zu viele Urlaubsschmöker. Sollte ich ihm eine letzte Chance geben? Schließlich ist der Spatz in der Hand (Tim) besser als die Taube auf dem Dach (Jer).
Ach.
Ich glaube, Santa Claus kann in der Tat ein paar Helfer gebrauchen. Aber er scheint nicht fähig, die Glocke meines Schlittens zum Klingen zu bringen.
Beispiel 1: Neulich Nacht hat er mir ein Stofftier und eine Karte mitgebracht, auf der stand: „Ich habe dich bärig gern.“ Wie viele schlechte Wortspiele können einem Menschen einfallen?
Beispiel 2: Nachdem Jer mir gemailt hatte, habe ich Tim angelogen und ihm gesagt, dass ich meine Tage hätte. Es erstaunte mich, dass er nicht enttäuscht darüber war, in dieser Nacht keinen Sex haben zu können. Es erstaunte mich, dass ihm nicht einfiel, dass ich sie gerade letzte Woche hatte. Sollten Männer solche Sachen nicht im Kopf haben? Wenn der Typ so ein guter Freund ist, sollte er nicht auf dem Laufenden sein?
Ich muss diese ungesunde Geschichte beenden.
Ich hasse es, mich von Leuten zu trennen.
Kann ich ihn nicht einfach nicht mehr zurückrufen? Wäre das falsch?
Jetzt, wo ich drüber nachdenke, fällt mir auf, dass wir unsere Beziehung nie als Beziehung
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