Großstadt-Dschungel
Restaurant essen wollen. Ich bestelle Terivaki-Lachs (wenig Kohlenhydrate). Danach gehen wir in einer Bar in Chelsea noch etwas trinken. Wendy trifft eine Menge Investment-Bänker, die sie kennt, aber weit und breit kein Jeremy. „Ich habe dir gleich gesagt, dass wir ihm nicht zufällig begegnen werden”, mault sie in ihrem verärgerten Ich-habs-doch-gleich-gesagt-Ton.
Nachdem ich eine Stunde lang am Tisch fast eingeschlafen wäre, sind wir auf dem Heimweg. Das Gute daran, dass ich hier niemanden kenne, ist, dass ich dieselben Klamotten morgen noch mal anziehen kann.
Wir nehmen für die Strecke zu Wendys Wohnung in der Bronx ein Taxi. Leise öffnen wir die Tür, weil ihre Grandma schon schläft. Ich kenne Bubbe Hannah nun schon genauso lange, wie ich Wendy kenne, da sie früher mindestens einmal im Monat von New York nach Danbury kam, um uns zu besuchen. Sie kann es nicht ausstehen, wenn ich sie Mrs. Teitelbaum nenne. „Ich bin Bubbe”, sagt sie mit ihrem starken jüdischen Akzent. Also nenne ich sie Bubbe Hannah. Normalerweise ist sie um diese Zeit des Jahres in Florida, aber Wendys Cousin hat Mitte Januar seine Bar-Mizwa, so musste Bubbe Hannah ihren Trip verschieben. Es ist anzunehmen, dass die Terminierung der Bar-Mizwa einen Aufschrei des Entsetzens unter der älteren Generation hervorgerufen hat, weil sie ihre jährlichen Urlaubspläne verschieben mussten.
Ich schlafe mit bei Wendy im Zimmer, da die Couch im Wohnzimmer mit einem Plastikschonbezug überzogen ist, der an diese alten, abgegriffenen Plastikhüllen erinnert, mit denen wir in der Grundschule immer unsere Hefte eingebunden haben. Es macht schon keinen Spaß, darauf zu sitzen, geschweige denn zu schlafen.
„Du wirst mir aber nicht die ganze Decke wegziehen, oder?” fragt Wendy und legt ein extra Kissen auf ihr Doppelbett.
„Ich ziehe niemandem die Decke weg.” Ups! „Ich habe vergessen, einen Schlafanzug einzupacken. Kannst du mir einen leihen?”
„Warum überrascht mich das bloß nicht?” Sie wirft mir eine Gymnastikhose und ein T-Shirt zu. „Und du ziehst anderen sehr wohl die Decke weg. Du rollst dich in sie ein, als wärst du die Creme einer Biskuitrolle. Wo wir schon davon sprechen, ich hol uns was davon.”
Sie geht in die Küche und kommt mit Scheiben mit Marmelade, Rosinen und Nüssen gefüllten Biskuits wieder. Nun ja. Ich glaube, meine Diät fängt ganz offiziell erst morgen an. Wir essen unseren Snack, waschen uns, ziehen uns um und krabbeln ins Bett.
„Wie oft habe ich wohl bei dir in Danbury übernachtet?” will ich wissen und rolle mich in das mit Blumen bestickte Oberbett. Nur ein bisschen.
„Mindestens einmal die Woche. Wie kommt es eigentlich, dass du häufiger bei mir warst als ich bei dir?”
„Du hattest Brüder, die mit uns gespielt haben. Und das Essen war besser.”
„Stimmt”, seufzt Wendy. „Ich wünschte, wir würden immer noch in derselben Stadt leben.”
„Vielleicht kommt es ja mal dazu.”
„Vielleicht schmeiße ich den Job hin und komme nach Boston.”
„Gefällt er dir nicht mehr?”
„Nicht wirklich. Ich meine, der Job selbst ist schon okay, zuweilen, aber ich hasse die vielen Stunden. Ich hasse sie wirklich. Für gewöhnlich bin ich jeden Tag bis nachts um elf da, manchmal bis nach eins. Ich habe nicht einmal Zeit selbst einzukaufen. Ist das ein Leben?”
„Aber denk an das Geld, das du verdienst! Und das, wo du umsonst wohnst. Du wirst verdammt reich sein, wenn du dreißig bist.”
„Wenn ich dreißig bin! Bist du wahnsinnig? Ich kann das nicht noch sechs Jahre aushalten! Da werde ich verrückt! Und ich werde so dünn, dass ich schließlich verschwinde.”
„Was willst du dann tun? An der Wirtschaftsakademie lehren?”
„Vielleicht. Warum mache ich nicht so was Lustiges wie Textbearbeitung?”
„Ja, wirklich sehr lustig – das ist todlangweilig! Das Einfügen von Kommas ist wirklich nicht mein Traumjob. Und mit meinem Gehalt könntest du dir diese schicken Klamotten nicht leisten.”
„Am Ende kündige ich einfach ins Blaue, nehme mir eine Auszeit und überlege mir in Ruhe, was ich will.”
„Aber du wolltest doch immer in die Wirtschaft.”
„Wollte ich? Vielleicht hätte ich Ärztin werden sollen. Dann hätte ich wenigstens das Gefühl, meinen Teil am Sozialwesen beizusteuern.”
„Dann studier noch mal Medizin.”
„Ich denke drüber nach.”
„Weißt du, was dein Problem ist, Wendy? Du hast so lange so hart geschuftet, du weißt gar nicht mehr, wie man
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