Großstadt-Dschungel
nach dir und will dich vernaschen.“
Zwanzig Minuten später. Wieder blinkt
Post für dich!
Noch eine Nachricht von Schick-ein-Lächeln! „Ein Tag ohne dich ist die Hölle.“ Auf dem Bildschirm erscheint ein roter Apfel.
Wie symbolisch. Wenn ich an Tim denke, fange ich bald wieder an, mich als Jungfrau zu fühlen.
Das Problem erfordert eine tiefenpsychologische Analyse. Ich will Sam gerade eine Mail schicken, als mir einfällt, dass diese Angelegenheit eine sofortige Reaktion erfordert. Ich frage mich, warum nicht jemand schon längst eine Art akustisches E-Mail erfunden hat, bei dem die Töne direkt übertragen werden. Das wäre so ähnlich wie ein Chatroom, nur mit Stimmen und schneller. Es gäbe einen Einwahlton, der einem bedeutet, dass man online ist, und wenn der Empfänger gerade nicht an seinem Computer oder mit einem anderen Gespräch beschäftigt ist, nimmt ein Apparat die eigene Stimme auf.
Ich nehme den Hörer ab.
Sam ist inzwischen wahrscheinlich zu Hause, also versuche ich es da.
„Oh! Hi, Jackie“, sagt Sam. „Was gibt’s?“
„Hilfe! Ich habe jeden Trick aus dem Buch probiert. Zum Beispiel habe ich ihm gleich am Anfang gesagt: ‚Warte! Komm noch nicht. Das fühlt sich
so
gut an.‘ Er antwortete okay, er werde es versuchen, aber zwei Stöße später war alles vorbei, und er rollte sich zur Seite und schlief ein. Wie soll ich mit dem Kerl je eine Beziehung führen? Angenommen wir machen es drei Mal die Woche, und jedes Mal dauert fünf Minuten. Dann habe ich in der Woche eine Viertelstunde Sex und verbringe 167 3/4 Stunden mit anderen Dingen. Wieso sollte ich nur ein Sechshundertzweiundsiebzigstel der Woche mit Sex zubringen? Was mache ich die restliche Zeit? Ist es möglich, dass ich ihn nicht mehr will, weil er mich will? Ist die Herausforderung weg? Bin ich so abgebrüht?“ Ich werde fast hysterisch. „Vielleicht hat Bev Recht. Vielleicht brauche ich wirklich eine Therapie. Verfalle ich nur Männern, die mich nicht wollen? Und werde ich den Rest meines Lebens damit zubringen, Männer zu erobern, die sich nicht um mich scheren, und gleichzeitig die übersehen, die mich schätzen? Er will, dass ich seine Eltern kennen lerne. Ich will seine Eltern aber nicht kennen lernen. Warum sollte ich auch? Ich kann keinen Sechshundertzweiundsiebzigstel-Mann heiraten.“
„Nein“, erwidert Sam. „Du brauchst keine Therapie. Du willst ihn nicht, weil er eine absolute Katastrophe im Bett ist. Das Leben ist zu kurz für schlechten Sex. Lass ihn fallen. Ich muss jetzt los.“
So weit zur tiefenpsychologischen Analyse.
„Jacquelyn?“ Mist. Helen.
„Ja?“
„Danke für die Bearbeitung von ‚Die Braut des Millionärs‘.“
Danke? Danke? Seit wann bedankt sich Helen bei mir? „Oh. Gern geschehen. Das ist mein
Job
.“
„Stimmt. Ist es.“
Aus irgendeinem Grund flüstert Helen. Weiß sie, dass ich mit dem Bruder der anderen Lektoratsassistentin schlafe (mehr oder weniger)? „Und … was denkst du?“ fragt sie.
Denken? Seit wann sind hier Gedanken gefragt? „Was ich von dem Buch denke?“
„Ja. Hat es dir gefallen?“
„Durchaus. Guter Plot.“
„Wirklich? Und was noch?“
Nun, wo sie schon fragt … „Okay. Ich hätte da ein paar Bearbeitungsvorschläge. Zunächst: Erinnerst du dich an die Stelle, wo er sie zum ersten Mal sieht? Ich finde, die Autorin sollte einige sinnlichere Details hinzufügen. Die Szene ist ein bisschen lasch. Ich kann ihn nicht riechen. Wonach riecht er? Benutzt er ein Rasierwasser? Die Autorin erzählt hier zu viel, anstatt die Dinge zu zeigen. Und bei der Hochzeitsszene sollte die Erzählperspektive klarer gemacht werden. Das ist ein bisschen verwirrend. Die Autorin springt hin und her, ohne sich richtig entscheiden zu können. Ich weiß, dass der Leser sich mit beiden Figuren identifizieren soll, aber das haut hier nicht richtig hin. Kaum habe ich mich in die Lage des Helden versetzt, werde ich schon wieder auf die Heldin zurückverwiesen. Als Leserin muss ich mich etwas besser entspannen können. Und mir persönlich ist die Ansicht der Mutter während der Hochzeit schnurz. Ihre Gedanken durchscheinen zu lassen halte ich für einen Fehler. Und die Tante? Sie spielt überhaupt keine Rolle. Ihren Part kann auch die Mutter übernehmen. Sag der Autorin, dass sie sich mit dem Löschbefehl anfreunden und sich ihrer entledigen soll.“
Helen starrt mich mit großen Augen an. Nun, sie hat gefragt. Offensichtlich wusste sie nicht, dass ich sprechen kann.
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