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Grote, P

Grote, P

Titel: Grote, P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wein des KGB
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denen die Geräte aller Innenminister ansprangen? Sicher wurden die Unterhaltungen heute digital aufgezeichnet, und digitale Zeichen hatten keinen Geruch, keinen Duft, die übelsten Begriffe stanken nicht einmal, da war sich Martin sicher. Es war schwierig, nahezu unmöglich, ihre Geruchsspur aufzunehmen. Er lächelte bei dem Gedanken, den Duft eines Bits zu entdecken. Er würde es sich zutrauen. Der Mädchenmörder Grenouille aus Süskinds ›Parfum‹ hätte es gekonnt.
    Martin zog Geldscheine aus der Brieftasche und roch an den bunten Plastikzetteln, die statt eines Wasserzeichens einen durchsichtigen Adler trugen. Über die Scheine gebeugt bemerkte er, dass der torkelnde Junge stehen geblieben war, herübersah und zurückkam. Er streckte die Hand aus. Martin gab ihm die Scheine, ohne darauf zu achten, was sie wert waren. Der Junge bestaunte das Geld, vielleicht war es ja das fassungslose Staunen, das ihn jetzt taumeln ließ, und Martin sah ihm traurig nach. In diesem Land war nichts so, wie er es erwartet hatte. Aber was hatte er eigentlich erwartet? Zumindest, ein romanisches Weinland vorzufinden.
    Ein schwarzer Geländewagen bog in die Straße, der Fahrer kümmerte sich nicht um die Absperrung, zerriss das rot-weiße Plastikband, der stiernackige Glatzkopf hinter dunkel getönten Scheiben grinste Martin im Vorbeifahren an, und der Wagen verschwand um die nächste Ecke. Martinblickte ihm so konsterniert nach, wie der Junge das Geld betrachtet hatte.
    Er erinnerte sich, dass in der Minibar des Hotelzimmers noch die beiden Flaschen Wein standen, die er gestern in der Vinothek an der Piat¸a Dorobant¸i gekauft hatte. Den Szeneladen hatte er zufällig entdeckt, als er aus einem Taxi gestiegen war. Von der Verkäuferin erfuhr er, dass es in der Zwei-Millionen-Stadt Bukarest nicht mehr als fünf Weinläden gab, man kaufte den Wein bei Real und Metro, beim französischen Carrefour und dem österreichischen Billa. Im Land sollten es höchstens zwanzig Weinläden sein. Der Hase konnte so schnell rennen, wie er wollte, der Igel war längst da. Auch eine zerfetzte Lidl-Plastiktüte hatte er im Rinnstein gesehen.
    Wieso wollte die SISA hier investieren? Wo wollten sie ihren Wein absetzen? Auf den gesättigten westeuropäischen Märkten? Was ihn viel mehr verwirrte, war der Umstand, dass die Verkäuferin der Vinothek ihn während der Unterhaltung nicht ein einziges Mal angesehen und nur auf ihre Kasse gestarrt hatte.
    Martin rieb sich das Gesicht, versuchte, die negativen Gedanken zu vertreiben, er kam zu dem Schluss, dass er alles zu verbissen sah, zahlte und machte sich auf den kurzen Weg ins Hotel. An der Rezeption erwarteten ihn zwei Nachrichten von Weingütern, mit denen er Besuche vereinbart hatte, und erleichtert dachte er daran, dass er bald die Stadt verlassen würde. Auf dem Land würde es besser werden, die Menschen dort waren anders, und unter Winzern und Weinbauern fühlte er sich wohl. Man hatte ein gemeinsames Thema, es gab eine gewisse Seelenverwandtschaft, davon ging er aus, Weinleute waren meistens Genießer und nicht so hartgesottene Geschäftsleute wie Waschmaschinenverkäufer. Außerdem taten Weinlandschaften der Seele gut, sie besänftigten ihn, er würde sich zwischen den Rebzeilen und Weinfässern gut aufgehoben fühlen.
    Als er von der Sitzgruppe am Fenster der Hotelhalle her deutsche Sätze hörte, war er fast geneigt, sich zu den beiden Männern zu setzen und sich ins Gespräch zu mischen, zumal sie über Geschäfte redeten. Diese Stadt und diese Hotels besuchten sowieso nur Geschäftsleute. Er hätte nichts zur Unterhaltung beisteuern, sondern nur dem Gespräch folgen müssen, da die meisten Menschen sowieso lieber über sich sprachen, als anderen zuzuhören. Aber im Augenblick war ihm jede Gesellschaft lästig. Um ihn herum wuselten zu viele Menschen, abends waren die Parks überlaufen, sodass er nicht in Ruhe joggen konnte. Allein im Restaurant zu essen behagte ihm gar nicht. Eine Partie Billard wäre die richtige Entspannung, nur leider hatte er keine entsprechende Kneipe oder das richtige Viertel entdeckt. Blieb immer noch die Möglichkeit, sich zu betrinken, obwohl ihm das nicht lag. Aber im Zimmer angekommen machte er den Wein auf.
    Er hatte einen Tǎmâioasa Româneascǎ gekauft, einen Wein aus einer ihm unbekannten einheimischen Traube. Vielleicht hätte er besser den Sauvignon Blanc der Kellerei Prince Ştirbey genommen, dann hätte er ihn mit den französischen Sauvignons vergleichen

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